Proudly made on earth

I’ll do it – Breaking Bad Season 4

Es ist immer eine interessante Erfahrung, eine liebgewonnene Serie, die man bisher nur aus der digitalen Konserve konsumiert hat, plötzlich Woche für Woche live bei der Erstausstrahlung einer neuen Staffel mitzuverfolgen. So geschehen mit mir und Breaking Bad, das ich tatsächlich erst so spät entdeckte, dass ich die ersten drei Staffeln in einem Rutsch bei dubiosen Streaminganbietern ansehen konnte. Wie fieberhaft blickte ich dem 17. Juli entgegen, an dem “Box Cutter” endlich seine Premiere feiern durfte! Wie viele Montagmorgen verbrachte ich, umgeben von völliger Finsternis, vor dem Rechner, um die brandneuen Bilder in Echtzeit um vier Uhr morgens quer über den Atlantik auf den eigenen Bildschirm schicken zu lassen. Wie sehr sich all die Mühe gelohnt hat!

Es ist so beeindruckend mitanzusehnen, wie eine Gruppe äußerst kreativer Menschen all ihr Herzblut in solch ein Projekt steckt. Nur, um eine Geschichte bis ins letzte Detail perfekt zu erzählen. Tatsächlich hat sich das Erzähltempo in Season 4 noch einmal deutlich gesteigert, doch die Erzählweise ist die selbe geblieben. Noch immer werden dem Zuschauer diese langen, ruhigen Szenen geboten, in denen man sich innerlich zurücklehnen und das bisher Geschehene verarbeiten kann. Schon im nächsten Moment schlägt der Plot dann wieder gnadenlos zu und raubt einem buchstäblich den Atem.

Popkulturelle Referenzen begeistern mich in allen filmischen Produktionen, so habe ich mich sehr gefreut, eine deutliche Zunahme an Querverweisen feststellen zu dürfen. Beispielsweise in der Szene, in der Badger und Skinny Pete auf einem Trip Zombie-Spiele diskutieren und mir plötzlich auffällt, dass ich diese Spiele selbst einmal gespielt habe. »They’re not just zombies, they’re nazi zombies! They’re the Talibans of the zombie world!« Und dann fährt plötzlich der Staubsauger-Roboter vorbei und nicht nur der Protagonist denkt in diese Augenblick: »Did that just happen?« Die Anleihe am klassischen Western- und Mafia-Stil in Verbindung mit christlicher Mythologie und natürlich modernen Elemente katapultiert Vince Gilligans Werk an die Spitze alles bisher auf Video Gebannten. Völlig zu Recht spricht die New York Times von der “besten Show im Fernsehen”, adelt der Spiegel die Serie als “größtes Kunstwerk der Gegenwart” und verkündet Metacritic mit 96% positiver Kritiken “universal acclaim”. Es sind die Momente wie der, in dem Walter plötzlich in das Lachen eines Wahnsinnigen verfällt, die eine Gänsehaut am ganzen Körper erzeugen und einen spüren lassen, dass hier gerade cineastische Vollkommenheit erreicht wurde. Noch nie lag mir das Wohlergehen fiktiver Figuren so sehr am Herzen.

In der vierten Staffel verändern sich fast alle Charaktere stark. Walter macht es einem immer schwerer, Sympathien für ihn zu hegen, wenn er die Vaterrolle gegenüber Jesse komplett ablegt, andere gnadenlos für seine Zwecke missbraucht und nur äußerst selten hinter die häßliche Fratze des Heisenberg blicken lässt. Umso bewegender ist das Gespräch mit seinem Sohn, in dem er neben Jesses Geschichte vom “Problem Dog” den eindringlichsten Monolog der Staffel vorbringt. Konträr zu Walts Niedergang erlebt Skylers Rolle eine überraschend positive Wandlung. Man erinnere sich an frühere Aktionen, in denen sie ohne nachzudenken die Polizei involvierte, um ihren Ehemann aus seinem eigenen Haus zu vertreiben. Während Walter nur noch impulsiv und planlos handelt, weil er die ganze Staffel über weiß, dass Jesse und er tote Männer sind, ist sie es, die mehr als einmal ihre Famile vor dem Mann beschützt, der ihre Familie beschützt, und klug vorausplant. Das Verhältnis zwischen Walt und Skyler hat mittlerweile die Professionalität erreicht, von der einst die Beziehung zu Gustavo geprägt war. Der unantastbare Gus selbst kämpft mit steigendem Druck und verliert stellenweise beinahe die Kontrolle. Brillant ist sein Fingerzucken nach der Polizeibefragung, unvergessen das Zurechtrücken der Krawatte im großen Finale. Jesse wird zu guter Letzt erwachsen und bewegt sich unberechenbar zwischen den Fronten. Als ihn Christian Alt bei Negativ (die übrigens alle Episoden auf höchstem Niveau analysiert haben, unbedingt lesen!) als “moralisches Gewissen des Breaking-Bad-Universums” bezeichnete, konnte ich das zunächst nicht ganz nachvollziehen, aber natürlich hat er völlig recht. Jesse ist die einzige Person, die ihr Handeln überhaupt noch reflektiert und sich über die ausbleibende Gerechtigkeit sorgt. Bei so vielen Leichen vergisst man schnell, dass Gale sein erster und einziger Mord ist, während der erste Mord der anderen Figuren nur deren Sprungbrett zu noch mehr Toten war. Bisher wurde der Zuschauer immer raffiniert dazu gebracht, sich instinktiv eine Annäherung Walts und Jesses zu wünschen. Durch die Enthüllungen zum Staffelende werden mit einem Schlag alle Emotionen umgekehrt. Die vermeintliche Versöhnung beim Abschied der beiden kann und darf nicht von Dauer sein.

Überhaupt lässt einen das Finale ziemlich ratlos zurück. Zu viele Wendungen, die man so nie erwartet hätte, müssen noch verstanden und verarbeitet werden. Filmisch ist diese Folge zweifellos großartig, erzähltechnisch bietet sie eine Enttäuschung: Erstmalig wurde der fortlaufende Handlungsstrang unterbrochen, um nicht zu sagen beendet. Bei der Produktion stand noch nicht fest, ob es eine Zukunft für die Serie geben würde, demnach stellt das Ende einen Kompromiss dar aus halbwegs würdigem Abschluss und Möglichkeit zur Fortsetzung. Wie auch immer diese in den letzten 16 Episoden aussehen wird, die Zäsur lässt sich nicht mehr revidieren. Auf jeden Fall wird sich Breaking Bad wieder ein wenig treiben lassen, was nach der atemlosen letzten Zeit definitiv kein Fehler ist. Mike, Hank und Jesse werden über die Zukunft von Walter entscheiden, falls ihnen nicht sein Krebsleiden zuvorkommt.

Trotzdem weiß ich, dass am Ende doch alles anders kommen wird als gedacht. Auf jeden Fall war es absolut richtig, mit der fünften Staffel das endgültige Aus festzulegen. Dieses Kunstwerk ist Ergebnis von Menschen, Ideen und Umständen, die zufällig zur selben Zeit am selben Ort aufeinanderprallen. Man das einzigartige Momentum nicht künstlich in die Länge ziehen, sonst würde seine Magie schnell verblassen. Ich bin einfach nur unfassbar dankbar, selbst ein winziger Teil eines solch epischen Augenblicks sein zu dürfen.

Florian Lehmuth
10. Oktober 2011
Kategorien:
Schlagworte:

1 Kommentar

Was sagst du?