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Breaking Bad S05E07: Say My Name

© AMC

Früher stand Walter White oft der Mund offen. Richtig unangenehm war es, ihn so ansehen zu müssen. Einen Menschen zu beobachten, der vollkommen hilflos ist. Walt sah sich damals im Geiste schon aus dem Leben scheiden, seine Familie schlecht versorgt und durch sein dunkles Geheimnis tief gespalten. Mittlerweile findet sich an Hilflosigkeit in seinem Anblick keine Spur mehr. Die Lippen sind fest zusammengepresst, der Mund ist leicht verzogen, das Gesicht wird von einem neuen Ausdruck der Selbstsicherheit umspielt. Walt empfindet gar diebische Freude darin, sich absichtlich in Gefahr zu bringen. Nur mit seinem Ego bewaffnet ließ er sich zuletzt Mikes Pistole an die Schläfe halten und kündigte dabei genüsslich seinen neuen Plan an: »Everybody wins«.

Nun muss er den anderen beiden und vor allem sich selbst beweisen, dass dieses riskante Vorhaben bei Declan auch wirklich auf Zuspruch stoßen wird. Diesem soll das begehrte Methylamin vorenthalten werden, dafür darf er an Stelle Mikes ein Drittel des Gewinns für die Distribution einbehalten. Wie im Western scharen die beiden Kontrahenten ihre Männer um sich und treten sich zum Duell gegenüber. Doch Walt hält sich nicht an die Vereinbarung, er befindet sich klar in der Unterzahl und stützt sich in seiner Verteidigung nur auf warme Worte. Sein Produkt könne nicht vom Markt verschwinden, weil es nun einmal das beste sei. Oder könne sich Declan etwa eine Welt ohne echtes Coca Cola vorstellen? Eben.

Zur Unterstreichung zieht er einen Beutel feinsten Meths aus seiner Jackentasche und wirft ihn dem zukünftigen Geschäftspartner demonstrativ vor die Füße. In diesem Moment hat er es nur dem Wohlwollen seines Gegenübers und viel Glück zu verdanken, dass er für diese Geste nicht auf der Stelle erschossen wird. Doch siehe da: So viel Mut kommt bei Declan gut an und lässt ihn nicht nur dem gewagten Deal zustimmen, sondern auch noch fünf Millionen Dollar als Ablösesumme an Mike bezahlen. Walt hat es geschafft, die Zukunft seines Unternehmens zu sichern und gleichzeitig an seiner Legendenbildung zu arbeiten. Sicherzustellen, dass er der Nachwelt auch wirklich als Mörder Gus Frings überliefert wird. »Say my name,« fordert er provokativ von Declan und diesem dämmert es langsam: »You’re Heisenberg.« »You’re goddam right.«

Nur 13 Prozent der Zuschauer halten dieses Gebaren für erbärmlich, der Rest steht nach wie vor unter dem Bann des großen Heisenberg. Daran wird sich nichts ändern, solange der größte Antiheld die Hauptperson der Geschichte stellt. Doch immerhin gelingt es den Autoren, Walt in eine Ecke zu drängen, aus der er sich so schnell nicht wird befreien können. Er wird endgültig von Mike und Jesse verlassen, möchte aber dennoch eine Nachfrage von etlichen Pfund Meth pro Woche bedienen. Zu allem Überfluss will sich Jesse auch noch seinen Anteil des Methylamins ausbezahlen lassen, obwohl er nicht einmal bereit ist, in der Übergangsphase beim Kochen auszuhelfen. So viel Undankbarkeit kann Walt nicht ertragen.

Im zentralen Dialog der Episode hält er Jesse vor, er habe kein Recht auf das Geld, ohne sich mit der blutigen Tat gemein zu machen, mit der es verdient worden ist. Fünf Jahre nach Beginn der Serie stellt sich noch immer die Frage nach der zugrundeliegenden Moral der Protagonisten. Immerhin lebt Jesse nach seinem eigenen, strengen Kodex. Nur Personen, deren Schuld erwiesen ist, verdienen den Tod. Kinder sind unantastbar. Für Walt dagegen gibt es nur schwarz und weiß. »If you believe that there’s a hell, I don’t know if you’re into that, we’re already pretty much going there, right?« Wirklich, es gibt nur ein Gut und ein Böse, gerade, wo doch in Breaking Bad all die Schattierungen dazwischen beleuchtet werden sollen?

Doch Jesse hat dazugelernt. Er traf erneut auf Skyler und verstand, dass er nicht der einzige ist, der unter Walts Tyrannei leiden muss. Die beiden Unterdrückten schließen im Stillen eine Allianz. »Vamonos.« »I wish.« Das gilt nicht nur für sie, sondern auch für ihn: Der Ausstieg ist das zentrale Thema der Episode. Der einzige, der nicht aussteigen kann, ist Walt. Eigentlich möchte er Jesse Angst machen mit einer düsteren Vision von dessen Leben als Frührentner. »What have you got in your life? Nothing, nobody.« Doch die Ironie will es, dass er in diesem Moment nur für sich selbst spricht. Er hat keine Familie mehr, kein Lebensziel außer dem ständigen Kochen. »If you leave, you get nothing, you understand? Nothing!« Jesse dagegen ist gewachsen. Mit seiner neu gewonnenen Willensstärke nimmt er den größten Preis inkauf, der wahrscheinlich jemals für ein reines Gewissen bezahlt worden ist.

Als Walts neuer Assistent bietet sich Todd an, der erst vor zwei Wochen einhändig aus zwanzig Metern Entfernung einen kleinen Jungen erschossen hat. Todd ist ein Profi. Walt schätzt seine Zuverlässigkeit und das strikte Ausführen von Befehlen; im Labor wird ihm Todds Unterwürfigkeit aber schnell zu viel. Wie zu Zeiten Gales vermisst er in Jesse einen gleichwertigen Partner, dem er aufgrund der gemeinsamen Erlebnisse auf ganz anderer Ebene begegnen kann. Die Zusammenarbeit mit Todd nimmt schließlich dennoch eine positive Wendung, als dieser Walt erklärt, bevor er richtig kochen könne, würde er erst einmal auf seine Bezahlung verzichten. Das imponiert Walter. Vielleicht steht dem neuen Duo doch noch eine vielversprechende Zukunft bevor.

Mike hat bei seinem Ausstieg scheinbar alles richtig gemacht. Seine Spuren sind so gut verwischt, dass er sich vor der DEA nicht mehr zu fürchten hat. Ist fortan also jeder Tag ein Tag mit Kaylee auf dem Spielplatz? Fast. Die neun Hintermänner müssen nach wie vor ausbezahlt werden, doch diese Kosten können leicht aus seiner Abfindung beglichen werden. Anstatt Bankkonten sollen für den Geldtransfer diesmal Schließfächer benutzt werden, die Woche für Woche mit kleinen Portionenen gefüllt werden. »Slow and steady wins the race,« bemerkt Dan, der Anwalt, anerkennend. Das ist ein Tribut an den Gewissenhaften, den Loyalen, den Perfektionisten.

Mike macht keine Fehler. Nach dem Tod Gustavos wurde er zum Gegenspieler Walts, der sich in allen Punkten von ihm unterscheidet. Walt ist hitzköpfig, eitel und selbstverliebt. Sein Privat- und sein Geschäftsleben haben sich schon lange unkontrollierbar vermischt. Mike dagegen hält seine beiden Welten sorgfältig voneinander getrennt. Er könnte sich nichts schlimmeres vorstellen, als dass die kleine Kaylee von seinem Doppelleben erfahren würde. »One of these days, our pal Ehrmantraut’s gonna slip up,« mutmaßte Hank erst kürzlich. Wer hätte gedacht, dass das sein erster Tag als Rentner sein würde? Mike selbst jedenfalls nicht. Ein stummer Schrei entfährt ihm, als er die Falle der DEA zufallen sieht und weiß, dass er seine Enkelin für auf ewig verlassen muss. Doch es gibt immer einen Plan B.

Nur seine Notfalltasche braucht er, um woanders ein neues Leben anzufangen. Diese Tasche jedoch befindet sich im Kofferraum eines Autos auf dem Flughafenparkplatz, weit aus seiner Reichweite. Saul soll sie ihm bringen, fürchtet aber, von der DEA überwacht zu werden. Jesse und Walt bieten ebenfalls ihre Hilfe an. Von Jesse hat sich Mike bereits endgültig verabschiedet; er fühlt zu sehr mit ihm, als dass er ihm noch einmal begegnen möchte und dann möglicherweise mit anhören muss, wie er von Walt erneut zum Kochen gebracht worden ist. Also fällt die Entscheidung auf den unberechenbaren Walter. Mike begeht den Fehler seines Lebens.

Walt fühlte sich bereits in seinem Stolz verletzt, als Mike es nicht einmal für angebracht hielt, ihm für die fünf Millionen Dollar zu danken, die allein seinem Verhandlungsgeschick entsprungen sind. Nun fordert er wenigstens die Namen der neun Hintermänner, um die er sich zukünftig offensichtlich selbst kümmern muss. Stattdessen wird ihm von Mike eine Wutrede entgegengehalten.

We had a good thing, you stupid son of a bitch. We had Fring. We had a lab. We had everything we needed and all ran like clockwork. You could have shut your mouth, cooked, and made as much money as you ever needed. It was perfect, but no: You just had to blow it up. You, and your pride, and your ego. You just had to be the man. If you’d done your job, known your place, we’d all be fine right now.

Die Bestie gerät außer sich vor Abscheu, als sie ihr eigenes Spiegelbild erblickt. So viel Hässlichkeit kann sie sich nicht eingestehen. Schäumend vor Wut wendet Walt all seine Agression gegen Mike und richtet ihn mit seiner eigenen Waffe. Erst Augenblicke später erkennt er unter Schock, was er gerade getan hat. Er ist entsetzt von seiner eigenen Raserei. Die Namen hätte er auch von Lydia bekommen können, Mikes Tod war völlig grundlos. Er muss mit ansehen, wie der alte Mann neben ihm verblutet, während im Hintergrund sanft der Rio Grande plätschert. In diesem Moment steht Walter White für ganz kurze Zeit wieder einmal der Mund offen.

Florian Lehmuth
24. September 2012
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