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I woke up this morning and I was normal – Skins Season 6 Part 4

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Zuallererst: Skins ist Geschichte. Die Serie, die mich einen Großteil meiner Jugend begleitet und geprägt hat, hat mit dem Finale der sechsten Staffel ihr Ende gefunden. Allerdings ist für 2013 eine kurze Rückkehr mit drei Episoden geplant, in denen auch Mitglieder der ersten beiden Generationen wieder auftauchen sollen. So ganz darf man dieser Ankündigung noch nicht trauen: Schon vor Ewigkeiten verbreiteten sich Gerüchte über einen sich angeblich in Vorbereitung befindlichen Kinofilm, aus dem letztendlich nie etwas wurde. Großartig wäre eine solche Wiedervereinigung jedoch ohne Zweifel. Vielleicht würden dann endlich die unklaren Staffelenden aufgeklärt, die uns bis heute darüber grübeln lassen, ob Sid und Cassie jemals wieder zusammengefunden haben oder ob Cook die Auseinandersetzung mit Effys Psychologen überlebt hat.

Doch unabhängig davon, ob diese kurze Rückkehr noch stattfinden wird, haben wir schon lange gespürt, dass es Zeit für einen Abschied wurde. Wir haben uns zum ersten Mal richtig verliebt, als Sid, Freddie oder Emily es taten, wir feierten durchzechte Nächte zusammen mit Chris, Effy und Cook. Es fiel jedoch schwer, sich mit den neuen Kids zu identifizieren. Irgendwie hatten wir all ihre Probleme schon einmal durchlebt, wir schauten müde lächelnd auf sie herab, wohlwissend: Wenn ihr einmal so weit seid wie wir, werdet ihr verstehen. Das änderte sich ein wenig in dieser Staffel, die zeigte, dass auch die neue Generation kämpfen muss. Vielleicht sogar mehr als ihre Vorgänger, weil sie auf bestimmte Art und Weise noch isolierter ist und so unreif in einer Welt, die immer komplexer wird. Trotzdem kennt das Leben auch für sie keine Gnade, und auch sie werden irgendwann erwachsen werden.

Peter Pan, das ist der einzige Junge, der niemals erwachsen wird. Weil er nicht erwachsen werden möchte. Peter Pan, das ist ebenfalls eine großartige Metapher für den Alo, den wir im letzten Jahr kennengelernt haben. Er nimmt die Dinge nicht sonderlich ernst und verletzt andere mit seiner Sorglosigkeit. »To put it with brutal frankness, there never was a cockier boy.« Gleichzeitig lebt er ein viel erfüllteres, abenteuerreiches Leben. »You just live a bit harder than everybody else does,« bemerkte Naomi in Staffel 4 über Cook, eine der besten Zeilen der Serie und zum Großteil auch auf Aloysius übertragbar.

Wendy ist das genaue Gegenteil davon, die Personifizierung von Verantwortungsbewusstsein und Bemutterung. Ihre Liebe zu Peter passt aber nicht in die Dimension einer Mutter-Kind-Beziehung, er ist nur nicht im Stande, das zu begreifen. Das ist die Tragik der Geschichte: Peters Kühnheit ist eine Farce, ihm fehlt der Mut, aus dem Zyklus der ewigen Kindheit auszubrechen und sich für Wendy zu entscheiden. Tinker Bell ist nur ein unbedachter Flirt, ihre Verbundenheit zu ihm stand sowieso schon fest. Doch während sich im Buch die Eifersucht Tinks gegen Wendy richtet, ist im vorliegeden Fall Alo der Leidtragende. Am Ende kann sie jedoch nicht anders, als sich selbstlos für ihn zu opfern.

Es ist erstaunlich, wie mühelos die Symbolik aus James Barries hundert Jahre altem Roman auf diese Episode übertragbar sind. Es verleiht der Serie Tiefe, etablierte Erzählungen aufzugreifen und mit den eigenen Figuren zu verknüpfen. So schockierend Freddie McClairs Schicksal auch war, die Vorlage des Hamlet bietet einen Deutungsansatz. Gleichzeitig ist es erfrischend mit anzusehen, wie die Autoren von Skins zeitgenössische Themen einfließen lassen. Das ist nicht nur tolle Unterhaltung, das ist tolles Storytelling. Die Beziehung mit Poppy mag für Alo verhängnisvoll enden, aber gleichzeitig bringt sie ihn wieder näher zu Mini. Auch Alo bekommt die einzigartige Chance, aus dem Kreislauf der ewigen Kindheit auszubrechen, und er hat seine Entscheidung noch nicht getroffen. Noch weiß er nicht, dass Liebe bedeutet, zuallererst uneingeschränkt Ja zu sagen und erst danach nach dem Warum zu fragen. Aber er befindet sich auf dem Weg in die richtige Richtung. »All children, except one, grow up.«

Liv wurde vom Verlust Graceys hart getroffen. Härter, als wir bisher bemerkt haben. Das liegt daran, dass sie sich von ihrem ehemaligen Freundeskreis fast vollständig abgegrenzt hat. Sie kann nicht verstehen, wie das Leben für andere einfach weitergehen kann. Alex ist ihr Rettungsanker, weil von den Ereignissen der Vergangenheit völlig unberührt ist. Als er sie jedoch im Stich lässt, fällt ihr wieder auf, wie einsam sie ist.

Ich hatte in der Vergangenheit Schwierigkeiten, die Figur Livs glaubwürdig zu finden und die Trauer um Grace nicht als albern zu sehen. Genau das sind nämlich Szenen wie die, in der die Ballerina kindisch auf ihrem Bett herumhüpft. Auf eine Weise sind die Phantomschmerzen Livs aber sehr nachvollziehbar, ihr Zögern, mit dem Krebsverdacht einen Arzt aufzusuchen, die Angst vor einem ähnlichen Schicksal wie dem ihrer Freundin und davor, das Versprechen gegenüber ihrer kleinen Schwester zu brechen.

Berührend ist die Unterhaltung zwischen Liv und Doug, der uns an eine Cassie erinnert, die auch einmal so verzweifelt war wie Olivia, und gleichzeitig seinen Abschied vom Bildungssystem bekanntgibt. Er möchte Reiten, Snowboarden, Kajakfahren. Es ist kein Aufruf, vor Problemen davonzulaufen, sondern ein Bekenntnis zur Zukunft: Ein starkes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, in kommende Gelegenheiten und in noch so viele ungenutzte Chancen. Für Liv steht die Zukunft völlig offen. Sie weiß im Augenblick nicht einmal, was der Knoten in ihrem Unterleib bedeutet und ob er für ihren baldigen Tod sorgen könnte. Alle Pläne für das weitere Leben scheinen unendlich weit entfernt zu sein. Trotzdem der fromme Wunsch: »I hope you like horseriding.« »And I hope you like everything.«

Auch wenn Skins ganz offensichtlich durch und durch vom Geist seiner Zeit getränkt ist, haben sich die Macher bisher immer ein wenig davor gescheut, die Serie mit großen Ereignissen der Gegenwart zu verbinden. Sicher, da gab es das Osama-Musical zu Beginn der zweiten Staffel. Und seit kurzem tauchen überall iPhones auf, als würden sie irgendwo kostenlos verteilt. Trotzdem fand ich es überraschend, Livs Vision von Grace inmitten eines Occupy-Lagers zu sehen. Das tauchte buchstäblich aus dem Nirgendwo auf. Man kann das nur schwer als Feststellung sehen, denn groß ist der Einfluss der Bewegung bisher noch nicht. Viel eher taugt die Vision als Prophezeiung: Die verlorene Generation wird sich emanzipieren und aus ihrem Schicksal der Apathie ausbrechen. Vielleicht dürfen wir am Ende nicht den Zusammenbruch des Kapitalismus erwarten, aber Selbstverwirklichung und eine Zukunft mit neuem Selbstbewusstsein.

Dies ist der vierte Teil einer fünfteiligen Serie über zeitgenössische Fernsehkultur, eine verlorene Generation und bittere Erkenntnisse. »Do I sound like a complete twatting idiot sometimes?«
Florian Lehmuth
19. April 2012
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