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This is it! – Skins Season 6 Part 1

© E4

Vorweg: Ich habe stark mit mir gerungen, ob ich die folgenden Zeilen nicht so schreiben sollte, dass sie auch Uneingeweihten noch nicht zu viel von der Handlung verraten. Allerdings hätte ich dann nur schwer alle Punkte untergebracht, die ich behandeln wollte, und obendrein sind “Spoiler” wohl hauptsächlich ein Mythos. Wie auch immer: Bestenfalls kennt ihr die ersten beiden Folgen der sechsten Staffel Skins bereits, andernfalls seid ihr jetzt gewarnt.

Marokko. Unter dem Vorwand eines unbeschwerten Sommerurlaubs darf die Gang ein paar Tage unter der unerbittlichen Sonne Nordafrikas verbringen. Versteckte Hinweise, dass hinter dieser ungewöhnlichen Exposition mehr steckt als ausgewaschene Farben und Trockensavannenästhetik, gibt es gleich am Anfang. Mini, Alo, Liv und Nick sind zusammen mit Ryder, der offenbar die schäbige Unterkunft organisiert hat, schon vor den anderen angereist. Grace und Rich werden vom Flughafen abgeholt, während die Ankunft Frankys und Mattys aus Tunesien das Ende ihrer nie öffentlich zur Schau gestellten Beziehung besiegelt. Auch wenn Ryder durch seine Ausdrucksweise mehr oder weniger elegant im Abseits positioniert wird, erzeugen solch bewusst kontroverse Nebenrollen immer eine sehr willkommene Spannung. Das Paar Violet/Hardbeck stach durch seine scheinbare Reibungslosigkeit von Anfang an hervor und musste Misstrauen erregen. Dass Rich nun davon spricht, jederzeit als glücklicher Mann sterben zu können, nimmt die Katastrophe etwas zu deutlich vorweg. Franky und Matty distanzieren sich dagegen aus eigenem Antrieb von sich selbst und der Gruppe.

Das Verhängnis beginnt mit dem Verlangen nach Party: Hedonismus als Sündenfall und gleichzeitig Katharsis. Der eiskalte Luke zieht Franky magisch an, die von ihrer berechenbaren Umwelt genug hat. Verletzen und verletzt werden, Hauptsache, wieder etwas Anderes fühlen. Matty wird für seine Passivität gnadenlos bestraft. Die Makellosen haben sich mit Schuld beladen.

Ein unvergesslicher TV-Moment entsteht, als Rich abrupt in seinem Tanz innehält, Matty vom Ort des Scheiterns flüchtet, die Szenen des Davonlaufens mit irritierenden Achsensprüngen überblendet werden und die Handlung in Begleitung Vivaldis’ gnadenlos polternder Marimbas zurück in den sterilen Versammlungsraum des Roundview Colleges wechselt. Die so unerbittliche Sonne Marokkos senkte sich hinter den Horizont, als Matty sich dafür entschied, vor den Konsequenzen seines Handelns zu fliehen. Fortan erstrahlt die Welt nur noch in Kunstlicht. Kalte Glühlampen spiegeln sich in Frankys Tränen und Graces Sauerstoffmaske.

Vier Wochen lang liegt sie im Koma, bevor ihr Vater die lebensverlängernden Maßnahmen abbrechen lässt. Durch die tragische Wendung, die die zweite Episode mit dem Gespräch zwischen Rich und David Blood auf der Treppe in dessen verwüstetem Haus erfährt, erscheinen alle vorhergegangenen Ereignisse in völlig neuem Licht. Bis zu diesem Moment haben wir eine solide zweite Folge vor uns, der nur ein kleines Stück zur Großartigkeit fehlt. Als Richards Handy dann erneut genau in dem Moment klingelt, als er aus dem Haus tritt, wird alles offensichtlich.

Hello?

I had to go.

Yeah. Why?

You know why, Rich.

No. Come back.

I can’t! Isn’t everything beautiful this morning? Everything is so beautiful.

I don’t understand.

I love you, Rich.

Wir werden Zeugen eines weiteren perfekten TV-Moments. Graces Stimme passt zum allerersten Mal zur Situation. Das Wiederaufgreifen von Apparats “Black Water” (Soundcloud); David Blood, der auf dieser Treppe sitzt, seine Hand knetet und starr vor sich blickt – plötzlich scheint es so, als habe alles nur auf diesen einzigen Augenblick hingeführt. Wie sehr wünscht man sich, die Einführung Chris Addisons als Professor Blood in der vierten Staffel sei einzig und allein dieser Szene wegen geschehen. Wie anders nimmt man plötzlich die Pfeffersprayattacken, Schulverweise und auch die Notizen an den Milchmann wahr: »Your milk is no longer required here.« Ich bin sehr gespannt zu sehen, wie diese fantastische Rolle fortgeführt wird.

Natürlich habe ich mir die Folgen noch einmal angesehen. Und noch viele weitere Male. Alles richtig gemacht, könnte man sagen. Darf man auch. Besser hätte die sechste Staffel nicht beginnen können. Und doch: Die dritte Generation macht es einem nach wie vor nicht leicht, sie zu mögen. Irgendwie wirkt alles zu glatt. Um Mic Wrights Vorlage noch einmal aufzugreifen: »Come Series 5, it resembled, more than ever, an animated version of elegantly wasted American Apparel ads.« Die Darsteller sind alle ein wenig zu schön, die Kleidung durchweg ein wenig zu geschmackvoll. Das wäre nicht so schlimm, ließen einen die Schauspieler nicht weitgehend emotional unberührt. Einzig Franky schafft es zeitweise, mich zu begeistern, aber als Nachfolgerin eines Tony, einer Effy oder eines Cook kann sie nur verlieren. Warum leisten sich die Serienmacher nicht wieder einmal einen Sid? Jeden Tag dieselbe Mütze, dieselbe unmögliche Frisur, dieselben 90er-Jahre-Revival-Klamotten. Wären die Werbepartner damit nicht einverstanden?

Skins erlebt gerade wieder solch einen Höhenflug, dass ich mir wünschte, die Produzenten würden sich auf die Stärken der Serie konzentrieren und darauf verzichten, drumherum ein “authentisches Markenerlebnis” aufzubauen. Social Media ist toll, aber ich möchte genausowenig meiner Waschmittelmarke auf Twitter folgen wie ich die Facebook-Fanpage von Alos und Richards fiktiver Band liken werde. Absichtliche Leaks sind toll, aber noch besser ist es, wenn eine Millionen Menschen gleichzeitig den Fernseher einschalten, anstatt sich die Pilotfolge eine Woche im Voraus aus dem Netz zu streamen. Die Web-2.0-Aktivitäten der fiktiven Figuren haben mittlerweile ein derartiges Ausmaß erreicht, dass sie auf einer zentralen Seite gebündelt werden müssen. Die Kids erkennen einen falschen Hype. Ihr habt noch acht Episoden übrig. Kreiert einen echten.

Dies ist der erste Teil einer fünfteiligen Serie über zeitgenössische Fernsehkultur, eine verlorene Generation und intelligente Drehbuchautoren. »Zurich? Like in space
Florian Lehmuth
5. Februar 2012
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