Proudly made on earth

CD-Review: Keep A Private Room Behind The Shop (Tom Rosenthal)

Superlative sind toll. Sie geben uns eine einfache Möglichkeit, Bedeutungen zu artikulieren. Sie helfen uns, mit minimalen Mitteln große Aufmerksamkeit zu erregen. Das Problem ist ihr Absolutheitsanspruch: Wer garantiert, dass der beste Song aller Zeiten nicht an einem Tag Post-Rock von Sigur Rós und am nächsten Tag Post-Punk von Jamie T ist? Obendrein kommt noch dazu, dass wir in der Ära der unbegrenzten Archivierung leben: Die euphoriegetränkten Worte verschwinden nicht nach ein paar Stunden wieder aus dem Gedächtnis anwesender Ohrenzeugen, sie sind für alle Zeit einem lesenden Publikum aus aller Welt uneingeschränkt sichtbar. Ehe man es sich versieht, haben einem die Superlative ein mittelgroßes Glaubwürdigkeitsproblem beschert. Und dass nur, weil wir keinen besseren Weg gefunden haben, unsere Begeisterung auszudrücken.

Ich könnte schreiben, dass mich noch kein Singer-Songwriter so schnell völlig eingenommen hat wie Tom Rosenthal. Außer vielleicht Bon Iver. Oder dass er eine der fünf Platten für die einsame Insel aufgenommen hat. Wahr ist aber nur: Ich kenne zu diesem Zeitpunkt keinen Künstler dieser Kategorie , der auf einer solchen Bandbreite solch großartige Musik produziert wie Tom Rosenthal. Die Remineszenzen sind in diesem Genre leicht zu bestimmen, genannt habe ich schon Justin Vernon, deutlich spürbar in “Eyes Eyes Eyes”, hinzuzufügen ist aber mit Sicherheit auch noch The Tallest Man On Earth, der in “Forgets Slowly” fast schon plastisch greifbar wird. Man erkennt die Anleihe an der Verwendung der Gitarre als einzige rhythmische Komponente, als vorpreschendes, galoppierendes Element. Genauso sieht für Rosenthal das Verständnis des Klaviers aus: Es dient nicht nur zur hintergründigen Begleitung, sondern als treibende Kraft.

Mit “The Boy” reanimiert Rosenthal das jahrhundertealte Modell der Ballade und haucht ihm im gleichzeitig in vollen Zügen neues Leben ein. Vielleicht habe ich seit Gil Scott-Heron keinen so innovativen Einsatz von Sprechgesang mehr gehört. Das Klavier plätschert neben der Geschichte her und wirkt so spielend leicht, dass man eine Improvisation vor sich zu haben glaubt. Die Einbettung von Hörspiel-Geräuschen, immer passend zum Verlauf der Erzählung, lässt eine geradezu bildlich begehbare Landschaft entstehen.

Auf der einen Seite steht immer die Dramatik, die sich beispielsweise in den Synthies von “Lights Are On but Nobody’s Home” widerspiegelt oder in der Stimmung des darauffolgenden, großartigen “Take Care”. Gleichzeitig kann man sich aber Tom nicht ohne Lächeln auf dem Gesicht vorstellen, wenn er Zeilen wie “Life’s a beach, life’s a beach, life’s a bloody beach” textet. Auch “There is a Dark Place” beginnt mit leiser Nachdenklichkeit, bis das Piano mit voller Kraft einschlägt und sich die Emotionen so sehr überschlagen, dass dem Sänger keine Worte mehr übrig bleiben. Es wird gegackert und gekrächzt, geplappert und gewimmert; nur, um in einem klassischen Shanty zu enden, das zum Mitgröhlen einlädt. An anderer Stelle singt Rosentahl über das Gefühl, Karl Marx im Bad zu lesen und über einen gewissen Toby Carr, der ein schwieriges Verhältnis zu Thunfisch hat. Das zeigt: Bei allem Talent zu tiefgreifendem Pathos nimmt sich dieser Mann nicht ernst. Das macht ihn unglaublich sympathisch.

The old, the young, the brave got stung all around you

The lights fell down upon the world and did surround you

Take care of all the lonely souls and love will hold you

Oh how you walked through the dark and love destroyed you

“Take Care”

Tom Rosenthal ist 25 Jahre alt und lebt in London. “Keep A Private Room Behind The Shop” ist sein Debütwerk, momentan arbeitet er aber bereits an einem Nachfolger. Auf Soundcloud gibt es nicht nur seine offiziellen Veröffentlichungen im Stream, sondern auch eine Fülle an Demoaufnahmen, die unser Verlangen nach neuem Material vorerst stillen sollten.

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Florian Lehmuth
21. April 2012
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