Proudly made on earth

Ishome

Russland. Das größte Land der Erde. Einwohnermäßig liegt es etwas abgeschlagen auf dem neunten Platz, doch statistisch gesehen stammt immerhin jeder fünfzigste Mensch aus dem Vielvölkerstaat mit seiner unheimlich vielseitigen Geschichte. Russland erstreckt sich von Polen bis nach Alaska und dennoch leben drei Viertel der Bevölkerung im europäischen Teil westlich des Urals. Seine größten Städte haben Namen wie Jekaterinburg oder Nischni Nowgorod und dürften noch nicht oft ihren Weg in die Gehörgänge des durchschnittlichen Mitteleuropäers gefunden haben. Oder wer von euch hat schon einmal von Krasnodar gehört?

Krasnodar liegt nicht weit vom Schwarzen Meer entfernt und damit auch in relativer Nähe zur Ukraine und Georgien. Die bislang wahrscheinlich bekannteste Tochter der Stadt heißt Anna Netrebko und ist Opernsängerin, doch demnächst dürfte sich unter Umständen noch ein weiterer Name dazugesellen, der bestens in das von mir verfolgte Umfeld elektronischer Musik passt: Mirabelle Ishome. Sie ist jung, weiblich und kommt aus dem Osten – damit passt sie schon einmal so gar nicht in das Klischee des üblicherweise britischen, männlichen DJs irgendwo aus dem Süden Londons. Diese erfrischende Andersartigkeit manifestiert sich auch in ihrer Musik. Einerseits findet sich das altbekannte Tröpfeln und Plätschern wieder, das vielleicht am besten als “einsam in einer fremden Stadt um zwei Uhr morgens” beschrieben werden könnte. Doch auf der anderen Seite kombiniert sie diese in westlichen Produktionen sehr häufig eingesetzten Themen immer auch mit völlig neuartigen, exotischen Samples. Man höre sich nur einmal die fantastischen Klänge der Bläser in “Walking Stick” an.

Im Interview wird deutlich, wie ambitioniert die Künstlerin ist. Ihre Selbstkritik grenze manchmal an Selbstkasteiung; bevor sie mit einem neuen Song nicht hundertprozentig zufrieden ist, wird er nicht veröffentlicht. Das kann mitunter Monate dauern. Weil sie der nächste, zufällige Inspirationsschub nur während der Arbeit erreichen kann, setzt sie sich vor den Rechner und wartet. Manchmal ist die Muse spät dran. “Entschuldige, Mira. Staus, du weißt schon.” Sie sieht das, wie alles im Leben, mit Humor. Eines ihrer größten Vorbilder heißt Sergey Zarin und kommt aus ihrer Heimatstadt. Seine Podcast-Reihe Highsessions habe sie erst dorthin gebracht, wo sie heute stehe. So ist es nicht verwunderlich, dass sie auch selbst einen Livemitschnitt beigesteuert hat. Andere Idole stammen aus dem Ausland, wie der Brite Burial, der für sie zum wichtigsten Musiker geworden ist, oder die Berliner Modeselektor-Apparat-Kombo Moderat.

Aktuelle Trends sieht Mirabelle kritisch. Obwohl sich auch in ihr Schaffen hin und wieder die obligatorischen Wobbles einschleichen, distanziert sie sich entschieden von der zur Zeit massiv gehypten Dubstep-Bewegung. Allgemein stellt sie fest, dass es heutzutage viel schwieriger geworden sei, als richtiger Künstler aus dem omnipräsenten kulturellen Überfluss hervorzustechen. Ihr Lebensstil erinnert dabei sehr an den klassischen Bohémien: “Ich habe die Gewohnheit des frühen Aufstehens aufgegeben. Tatsächlich habe ich jede Gewohnheit aufgegeben, bis auf die Arbeit mit der Musik und warme Mahlzeiten.”

Ishomes Debütwerk nennt sich “Caraboo”, gefolgt von “Al Capone”. Seine taufrische Nachfolgerin hört auf den Namen “Eva”.


Update 17.05.2018

Florian Lehmuth
24. Oktober 2011
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