Proudly made on earth

Ein Plädoyer für dezentrales Netzwerken

Vor langer, langer Zeit, als die Nerds noch in finsteren Höhlen wohnten, waren Peer-to-Peer-Tauschbörsen der ganze Stolz der Internetpiraterie. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass es nichts gab, was es nicht gab; kein noch so verwegener Fetzen Bits und Bytes, der nicht auf irgendeiner privaten Festplatte lagerte. Der süße Duft der Anarchie wehte damals durch die schmalen Gassen des Ur-Internets, doch dicht darauf folgte der schwache Geruch grenzenloser Basisdemokratie, Freiheit, Unabhängigkeit. Napster, eDonkey oder LimeWire starben einen qualvollen Tod, ehe ihre Hinterlassenschaften so gut wie möglich auf die zentralen Server von RapidShare, Megaupload und Co transferiert wurden. Dort lagern nun Millionen von Dateileichen, schlecht katalogisiert und schwer zugänglich. Warum? Weil ein grundsätzlich geniales Modell an wirtschaftlicher Übermacht scheiterte.

Eine Dekade danach wiederholt sich die selbe Situation auf einer anderen Ebene. Social Media stellte die erste große Revolution dar im weltweiten Netz und sorgte dafür, dass die kühle Welt der Maschinen ein wenig menschlicher wurde. Die nächste bedeutende Welle soll dazu führen, dass die Trennung zwischen virtueller und physischer Realität vollständig wegfällt. Doch bis dahin gilt es noch eine Menge Arbeit hinter der Fassade zu verrichten, denn die Strukturen des Internets verfilzen zusehends und werden, wenn niemand eingreift, einen Nepotismus 2.0 gigantischen Ausmaßes provozieren. Twitter durfte vor einigen Tagen seinen fünften Geburtstag begehen, doch trotz emotionaler Rückblicke hagelt es Kritik von allen Seiten. Die neue Unternehmensleitung änderte einfach schnell einmal den bisherigen Kurs um 180 Grad und verleugnet so all das, was den Dienst einst großgemacht hat: Die unzähligen Schnittstellen zu außenstehenden Projekten, die über die API mit Inhalten versorgt werden und ihrerseits wieder zurückbefüttern; die vielen Clients für diverse Plattformen, die ein Höchstmaß an Usability und Flexibilität garantieren. Dabei war Twitter bis vor kurzem noch mein Musterbeispiel für das Anliegen dieses Textes. Viele verschiedene Kanäle schleusen Informationen ein, diese werden weiterverarbeitet und organisiert und können nach Belieben an eine unendliche Anzahl von Empfängern weitergeleitet werden.

Dezentrales Netzwerken verknüpft Kontrolle mit kontrolliertem Kontrollverlust. In jedem Fall bieten sich dadurch aber mehr Entscheidungsmöglichkeiten als bei der Beschränkung auf eine oder wenige nicht verbundene Plattformen.

Der Nutzer kauft sich die Hoheit über seine Daten zurück

Grundlegend ist allerdings immer die Frage nach dem Speicherort der Daten. Bei Twitter ist diese Überlegung wenig sinnvoll, die Nachrichtenbruchstücke werden von dort ganz einfach auf verschiedene Server portiert. Da man sie bei Bedarf gleich mehrerorts löschen muss, sollte man sich vorher nähere Gedanken über den Inhalt der Kurzmitteilungen machen. Bei anderen Inhalten kommt das noch nicht sehr alte Prinzip der Personal Cloud zum Tragen (das mit identi.ca bzw. StatusNet übrigens gar auf Microblogging angewandt werden kann, aber nicht sonderlich oft wird—wieder ist die Martdominanz Twitters zu erdrückend). Die ganz eigene Wolke dient als Ablage für ganz eigene Informationen. Der Nutzer kauft sich die Hoheit über seine Daten zum akzeptablen Preis einer gewissen Portion Online-Speicher zurück. Dort wird dann erst einmal alles disponiert, bis über den weiteren Umgang entschieden ist.

Wichtiger als der Speicherort sind die Datenströme. Information nützt wenig, wenn sie keine Aufmerksamkeit bekommt. Zugunsten dieser Aufmerksamkeit lässt sich nun ein Stück Entscheidungsgewalt aufgeben, wenn bestimmte Teile—etwa das Exzerpt eines Textes oder skalierte Bilder—an Facebook, Twitter oder Flickr übertragen werden. Diese Bruchstücke sind allein ziemlich nutzlos und dienen eigentlich nur dazu, das Interesse zurück auf den Ursprung zu lenken. Nur wenn die Daten in der Personal Cloud bestehenbleiben, haben auch die Snippets auf anderen Plattformen einen Nutzen. Der Urheber gibt die Kontrolle nicht auf, solange nur er über die vollständigen Inhalte verfügt. Trotzdem profitiert er von der Aufmerksamkeit der Nutzer anderer Dienste.

Dieser Artikel ist ein konkretes Beispiel. Wenn ich auf “Publizieren” drücke, landet er im RSS-Feed, auf Twitter, meinem Facebook Profil, der floffimedia-Facebook-Seite, selbstverständlich auch bei Google, diversen anderen Suchmaschinen und anderen Websites. Die vollständige Abhandlung bleibt jedoch immer in meiner persönlichen Datenbank. Diese WordPress-Installation besitzt aber nicht nur Ausgänge, sondern lässt sich beispielsweise auch automatisch mit Tweets, Flickr-Uploads oder QuietWrite-Texten befüllen. Ich kann von jedem Rechner der Welt wie auch von iOS, Android oder Blackberry darauf zugreifen.

Automatisierung ist neben Datenhoheit ein weiterer bedeutender Punkt, denn dadurch lässt sich mit geringen Aufwand ein großes Maß an Präsenz erzeugen. Wieder gibt man ein gutes Stück Kontrolle auf, bekommt dafür im Gegenzug aber auch zusätzliche Aufmerksamkeit. Es läuft immer auf ein Abwägen zwischen Aufmerksamkeit und Kontrolle hinaus.

Dezentrales Netzwerken muss aber immer die Voraussetzung sein, denn nichts ist schlimmer als ein einsamer Facebook-Account, der keine Informationen empfängt oder spendet, sondern einfach nur auf dem Pfad Zuckerbergscher Monetarisierungspolitik entlangwandelt. Man verstehe das bitte nicht falsch: Facebook ist vielleicht das großartigste Stück Technologie aller Zeiten. Es erfüllt einen mit ehrfürchtigem Staunen, wenn man mit einem Klick das Leben beliebiger Menschen durchforsten kann, so effektiv kommunizieren wie nie zuvor, Einblicke in immaterielle Qualitäten bekommt, die den innersten Gedankengängen gleichkommen. Daneben steht die Gefahr, die aus der falschen Nutzung resultieren kann. Es gehört zur Basis grundlegenster Medienkompetenz, den richtigen Umgang mit solchen Angeboten zu erlernen.

Dezentrales Netzwerken muss immer die Voraussetzung sein.

Florian Lehmuth
7. April 2011
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