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Breaking Bad S05E01: Live Free or Die

© AMC

Breaking Bad ist eine lineare Geschichte. Es geht um die Verwandlung eines guten Menschen in einen bösen, um den Weg von Mr. Chips zu Scarface, wie uns Serienschöpfer Vince Gilligan nur zu oft erzählt. Fest steht aber auch, dass wir den größten Teil dieser Metamorphose schon miterleben durften. Walter White wurde bereits in den allerersten Folgen von einem chemielehrenden Familienvater zu einem skrupellos mordenden Drogenhändler. In der im letzten Jahr zu Ende gegangenen vierten Staffel erlebte die Handlung dann ihren bisläufigen Höhepunkt, als Walt seinen Boss Gus aus dem Weg räumen konnte und sich somit ganz an die Spitze der Unterwelt Albuquerques katapultierte.

»We try to do a cliffhanger more or less with everything we do,« berichtet Chefautor Gilligan. Dennoch war vorauszusehen, dass die Spannungskurve zu Beginn dieser Staffel deutlich absinken würde. Denn von einem Cliffhanger kann nach dem Tod Gustavo Frings keine Rede sein. Walt hat gewonnen, sein Umfeld ist in Sicherheit, die Familie gut versorgt. Wenn die Erzählung aus irgendwelchen Gründen an dieser Stelle abgebrochen wäre, hätten wir immerhin schon einmal deutlich zufriedener sein können als die Anhänger von Lost.

So ist es zunächst auch bloße Aufräumarbeit, mit der die beiden Hauptprotagonisten und der aus Mexiko zurückgekehrte Mike beschäftigt sind. Die Indizien wären jedoch erdrückend, sollten sie je ans Tageslicht gelangen: Gus hat auf seinem Laptop die Aufzeichnungen seines umfassenden Überwachungssystems archiviert; auf den Videos sind nicht nur Walt und Jesse, sondern eben auch Mike deutlich zu sehen. Während letzterer frühzeitig aufgeben und die Stadt verlassen möchte, ist besonders Walt aus Mangel an Alternativen dazu entschlossen, das Problem mit seinen unkonventionellen Methoden anzugehen. Letztlich ist es allerdings Jesse, der auf die rettende Idee eines Elektromagneten kommt. Man fühlt sich schnell an die Anfänge des Duos erinnert, als die beiden zwar wie geplant den Beweismittelraum in ein Chaos versetzen, danach aber stark improvisieren und ihren ursprünglichen Plan aufgeben müssen. Die Szene des in Schieflage geratenen Transporters ähnelt auffallend dem Diebstahl eines Fasses Methylamin in der ersten Staffel, in der die beiden Übeltäter nicht um viel auf die Idee kommen, den mannsschweren Behälter zu rollen anstatt zu tragen, und ihre Gesichter mit Bommel-Skimasken aus dem Sportfachgeschäft verhüllen.

Einen Schritt vor, zwei Schritte zurück, dass war eine zutreffende Beschreibung von Walts Gesamtsituation zur damaligen Zeit. Nun, da Gus nicht mehr als kühl planender Kopf zur Stelle ist, kommt sein Verhalten diesem Muster wieder gefährlich nah. Davon bekommt er allerdings nichts mit, denn Walt wird schon lange von seinem inneren Heisenberg völlig ausgefüllt und sein Ego droht bald zu explodieren. Das durch Gus’ Tod entstanden Machtvakuum tut sein Übriges, Walt fühlt sich unbesiegbar: »It worked.« »Why? How do we know?« »Because I say so,« bemerkt er entschlossen, und nur Jesse als einziger verbleibender Charakter mit intaktem Gewissen im Breaking-Bad-Universum ahnt, dass eine solche Hybris nicht ungestraft bleiben kann. Mike hat seine ehemaligen Kollegen sowieso schon abgeschreiben, sorgt aber mit seinen sarkastischen Kommentaren für die einzige Auflockerung in einer sonst durch und durch düsteren Episode. »You know how they say it’s been a pleasure? It hasn’t.« Hank ist mit seinen schnellen Schlussfolgerung auf den Fersen und scheint seinen Abstand merklich zu verkürzen. Der Stand der Ermittlung erinnert uns daran, dass eigentlich nur noch drei große Fragen zu beantworten sind: Kommt Hank hinter das Geheimnis seines Schwagers? Erfährt Jesse von der dreisten Manipulation, die er durch seinen Partner erfahren hat? Schließlich: Wie sieht Walts Ende aus?

Skyler hat sich längst als treue Komplizin ihres Mannes etabliert. Die Verstrickung in die Steuerhinterziehung ihres ehemaligen Chefs Ted Beneke hatte weitreichende Folgen für die Situation Walts, der gesundheitliche Zustand Teds war jedoch bislang unbekannt, nachdem er sich einige Zeit zuvor in einem tragischen Unfall ganz offensichtlich eine schwere Kopfverletzung zugezogen hatte. Daran ist er aber nicht etwa verstorben, wie einige schon vermutet hatten, sondern zu einem Krankenhausaufenthalt gelangt, wo er ein bemitleidenswertes Bild abgibt. Skyler ist von Anteilnahme und Schuldgefühlen überwältigt, als sie ihm gegenübertritt. Sie merkt aber auch schnell: Ted hat ungeheure Angst vor ihr. Als er seine absolute Verschwiegenheit verspricht und sie anfleht, seine Familie zu verschonen, ist das erste Wort, das ihr über die Lippen kommt: »Good.«

Es ist erstaunlich, in welch kurzer Zeit die naive Hausfrau, die wir zu Beginn noch kennenlernen durften, eine gehörige Portion krimineller Energie entwickelt hat und zu einer eiskalt kalkulierenden Geschäftsfrau geworden ist. Ihre Motive sind allerdings noch nicht ganz klar: Da ist auf der einen Seite natürlich eine gigantische Menge Geld, von der sie und ihre Kinder nach dem Tod Walts profitieren werden. Andererseits wissen wir nicht genau, ob sie tatsächlich noch Gefühle für ihren Ehemann hegt oder ihn nur aus bloßer Angst unterstützt. Dass sie sich vor ihm fürchtet, spricht sie deutlich aus, und Walts »I forgive you« am Ende der Folge dürfte nicht nur mir einen Schauer über den Rücken gejagt haben.

Soviel also zu einer durch und durch soliden Episode, die allen Erwartungen deutlich standhalten sollte. Vince Gilligan und sein Team haben schon länger bewiesen, dass sie das Niveau der Sendung dauerhaft sehr hoch halten können. Inhaltlich bringt uns dieser Abschnitt der Verbrecherkarriere Walter Whites aber kaum weiter. So ist es also das Cold open, das so ganz und gar nicht in dieses Schema passt. Wir sehen Walt, der sich mit Vollbart, Haaren auf dem Kopf und einer neuen Brille merklich verändert hat. Wir beobachten ihn dabei, wie er seinen Geburtstag in einem Denny’s feiert und dabei aus dem Frühstücksspeck eine große 52 auf dem Teller formt, genau so, wie es Skyler zwei Jahre zuvor für in getan hat. Das bringt uns zu der Frage, wie viel Zeit mittlerweile eigentlich bei Breaking Bad vergangen ist.

Die Macher sprechen davon, das jede Staffel rund drei Monate abbilden soll, was sich mit diesem Zeitplan deckt und zusammen mit der Tatsache, dass die vierte Folge der fünften Staffel den Titel Fifty-One tragen wird, zu der Erkenntnis führt: Walts turbulentes einundfünfzigstes Lebensjahr dürfte demnächst enden. Damit werden wir im Vorspann Zeugen des ersten großen Zeitsprungs in der Geschichte der Serie, die sich bisher höchstens Rückblenden und Ausblicke im Abstand einiger Wochen geleistet hat.

Wie mag also eine Zukunft aussehen, in der Walter einen gefälschten Ausweis verwendet, der ihn als Einwohner New Hampshires deklariert, obwohl er sich nach wie vor in New Mexico befindet? Wie mag es um seine Gesundheit stehen, wenn er wieder spürbar länger hustet als früher? Nicht zuletzt: Was um alles in der Welt mag ihn zum Kauf eines M60-Maschinengewehrs gebracht haben, also einer richtig, richtig schweren Waffe? Es scheint unausweichlich, dass die Serie mit einem Blutbad enden wird. Genau das ist jedenfalls die Erwartung des Publikums und ich finde es etwas schade, dass sich die Produzenten scheinbar so leicht davon lenken lassen. Ein originelles Ende würde dem Witz, der Genialität und der Unbeschwertheit der ersten beiden Staffeln sehr viel näher kommen. Ich denke, wir können trotzdem auf Gilligans Einfallsreichtum vertrauen, denn nicht umsonst handelt es sich hier nach wie vor um die beste Serie unserer Zeit.

Live Free or Die ist das Motto des Ostküstenstaats New Hampshire und geht zurück auf General John Stark, der feststellte: »Death is not the worst of evils.« Auch Walt hatte das schon einmal erkannt, als er sich anfänglich gegen die Behandlung seines Lungenkrebses sträubte. Mittlerweile scheint er aber mehr denn je an seinem Leben zu hängen und ist offenbar bereit, seine persönliche Freiheit mit – im wahrsten Wortsinn – jeder Gewalt zu verteidigen. Der Tod ist dennoch unausweichlich.

Florian Lehmuth
21. Juli 2012
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