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Breaking Bad S05E02: Madrigal

© AMC

»Tonight’s episode of Breaking Bad shows us that sometimes, Germans might be up to no good,« schreibt ein Rezensent über die jüngst ausgestrahlte Folge. Und in der Tat: Die Deutschen werden nicht gerade überschwänglich positiv dargestellt in Madrigal. Aber eben auch nicht schlechter als alle anderen auf die schiefe Bahn geratenen Charaktere in Albuquerque, New Mexico. Erschreckend ist hingegen, mit welch stoischer Gelassenheit der Chefverkoster in der Hannoveraner Konzernzentrale von Madrigal Electromotive erst Häppchen für Häppchen in verschiedene Soßen taucht, bevor er sich in der Toilette einschließt, seinen Körper verkabelt und sich einer tödlichen Ladung Strom aussetzt. Mit einer Selbstverständlichkeit, als würde er sich nur ein weiters Chicken Nugget in seinen Rachen werfen.

Es ist diese bislang unbekannte Kaltblütigkeit, die die neue Staffel so düster wirken lässt. So passt es auch, dass diesmal Mike im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, wie immer großartig gespielt von Jonathan Banks. Denn während es letzte Woche noch hauptsächlich um die persönliche Aufräumarbeit Walts und Jesses ging, steht jetzt der Zusammenbruch von Los Pollos Hermanos im Vordergrund. Gustavos Tod und die Entdeckung der Schwarzgeldkonten durch die DEA lässt einen Geschäftspartner nach dem anderen wie Spielzeugfiguren umfallen. Die Woge schwappt schließlich auch zum Mutterkonzern über, wo sich eingangs erwähnter Herr Schuler aus bisher unbekannten Gründen das Leben nimmt. Fest steht nur, dass die Verstrickungen in den Drogenhandel ein weit größeres Ausmaß erreichen müssen, als früher anzunehmen war.

Mike kommt immer dann ins Spiel, wenn es um das Grobe geht und trotzdem Fingerspitzengefühl gefragt ist. Mit seinen ausgefeilten Plänen ähnelt er Gus, doch während letzterer eindeutig Idealist war, ist er Pragmatiker. Genau durchschauend, dass eine weitere Zusammenarbeit mit Walt und Jesse nur großen Ärger bringen würde, entgegnet er auf das Angebot, zu dritt wieder in die Meth-Produktion einzusteigen: »You are a time bomb, tick-tick-ticking. And I have no intention of being around for the boom.« Als dann aber klar wird, dass die DEA ihm das Geld nehmen wird, das für seine Enkelin bestimmt ist, ändert er seine Meinung und gibt Walt doch eine Zusage. Gus hätte es niemals getan.

Nach dem Tod des Hähnchenkönigs ist Mike die Anlaufstelle für alle, die Interesse an den ehemaligen Mitarbeitern von Los Pollos Hermanos haben. Da ist zum einen Hank, der genau wittert, dass der vorgebliche Sicherheitschef in Wirklichkeit für den Vertrieb des größten Crystal-Produzenten im Südwesten der USA zuständig war. Während Mike sich beim Verhör sehr standhaft zeigt, ist nicht klar, wann die anderen Beteiligten nachgeben werden. Außerdem taucht mit Lydia eine neue Figur auf, die als hochrangige Mitarbeiterin von Madrigal deren gesamte Geschäfte auf dem amerikanischen Markt zu überwachen scheint.

Lydia ist mit der Situation ganz offensichtlich überfordert. An Gus’ Unternehmen war ein großes Netzwerk von Mitwissern beteiligt, die jetzt alle zu potentiellen Verrätern werden. Gibt das schwächste Glied in der Kette nach, reißt es alle anderen mit in den Abgrund. Dieses Risiko will sie nicht eingehen und händigt Mike deshalb eine Liste mit elf hochrangigen Mitarbeitern aus, die zum Schweigen gebracht werden sollen. Mike hingegen weiß, dass seine Männer für eine solche Belastungsprobe gerüstet sind und entgegnet in seiner realitätsnahen Art: »I don’t know what kind of movies you’ve been watching, but here in the real world, we don’t kill eleven people as some kind of prophylactic measure.«

So schnell lässt sich Lydia aber nicht von ihrem Plan abbringen. Sie engagiert Chris, einen früheren Handlanger und Fahrer Gustavos, der den alten Herrn in eine Falle locken soll. Nur seinem untrüglichem Gespür für Gefahr ist es zu verdanken, dass Mike das Blatt wenden kann und sich schließlich gegen Lydia richtet. Es kommt zu einer herzergreifenden Szene, in der ihre Tochter vor dem Schlafengehen gezeigt wird und Lydias einzige Sorge zu sein scheint, dass ihre Leiche nicht verschwinden solle, damit ihr Kind nicht denken möge, ihre Mutter habe sie im Stich gelassen. Schließlich wird sie unerwarteterweise von Mike verschont, der hofft, durch sie an Methylamin zu kommen. Walt und Jesse benötigen die Chemikalie, um weiterkochen zu können. Da ist er wieder, der Pragmatiker.

Walt rückt in dieser Episode zwar eher aus dem Blickfeld, ist aber dennoch in einigen Schlüsselszenen zu sehen. Gleich zu Beginn bastelt er eine Attrappe von Jesses Rizin-Zigarette, die er ihm in der letzten Staffel unauffällig hat abnehmen lassen. Jesse wird verrückt vor Sorge, weil er fürchtet, ein Unschuldiger könne sie finden und dadurch zu Schaden kommen. Als Walt das Duplikat geschickt im Saugroboter platziert und den Fund inszeniert, wird Jesse von Schuldgefühlen überwältigt: War er doch noch kurz zuvor bereit, seinen Partner umzubringen, weil er annahm, er habe Brock vergiftet.

Jegliche Sympathie für Walt ist längst verflogen; das ist sie spätestens, als klar wurde, dass er tatsächlich für seine Zwecke einen kleinen Jungen vergiftet hat. Es ist mittlerweile kaum noch erträglich, ihm beim Trösten Jesses zuzusehen, wenn man all die dunklen Geheimnisse kennt, die zwischen den beiden stehen. Man kann nur ansatzweise nachvollziehen, wie getrieben und von sich selbst besessen er sein muss, dass sein wichtigster Gedanke die sofortige Wiederaufnahme der Meth-Produktion ist. Saul spricht davon, dass ein Lotteriegewinner nie wieder ein weiteres Los kaufen würde, doch Walt sucht die Kontrolle über das gesamte Spiel.

Ein wichtiges Motiv in Breaking Bad ist der Unterschied zwischen Fassade und Wirklichkeit. Praktisch jeder Hauptcharakter versteckt zeitweise Teile seiner Persönlichkeit vor anderen: Marie, die unter psychischer Belastung zur Kleptomanin wird, oder Mike, der sich liebevoll um seine Enkelin kümmert und anschließend ihre Spielzeuge in seine tödlichen Missionen integriert. Das selbe gilt für Gus, dessen scheinbar geregeltes Leben von Hanks Chef in Erinnerung gerufen wird:

I had him out to my house. 4th of July. Cooked out in the backyard, my son shucked the corn, my daughter cooked up potatoes. Fring brought sea bass. Everytime I grill it now I make a little foil pouch just like he showed me. The whole night we were laughing, telling stories, drinking wine. And he’s somebody else completely. Right in front of me. Right under my nose.

Inzwischen gibt es nicht mehr viele Figuren, hinter deren fast durchgängig getragene Masken wir noch schauen können. Jesse ist noch immer aufrichtig, kann aber nicht aus seinem jetzigen Leben ausbrechen, weil er kein anderes kennt. Skyler steckt zwischen ihren eigenen Schuldgefühlen und der Angst vor ihrem Mann fest, schließlich landet sie in einer Depression. Walt hingegen ist längst nur noch Heisenberg und schirmt sich nach allen Seiten mit einem dichten Netz aus Lügen ab. In der Schlussszene, die in einem einzigen langen Take die im Bett liegende Skyler und den nur bis zur Hüfte sichtbaren Walt zeigt, wird seine ganze Abscheulichkeit filmisch und schauspielerisch brillant dargestellt. Er versucht, seine emotional tote Frau romantisch zu verführen und erklärt nebenbei, wie er sein dunkles Treiben rechtfertigt: »When we do what we do for good reasons then we’ve got nothing to worry about. There’s no better reason than family.«

Familien sind in Breaking Bad immer präsent, sind sie doch die einzige Legitimation für die kriminelle Karriere der Ehemänner. Vor allem in dieser Folge tauchen jedoch gerade Töchter in bedenklicher Zahl auf: Kaylee Ehrmantraut, Mikes Enkelkind, die Tochter Lydias und natürlich die kleine Holly White. In der Tradition der Serie darf man solche Signale nicht einfach übersehen. Kommen seine Kinder hinter die Geheimnisse Walts, scheint alles aus, doch angesichts des drohenden Blutbads am Ende der Staffel ist noch viel Schlimmeres denkbar. Seinen zweiundfünfzigsten Geburtstag feiert Walter jedenfalls allein.

Florian Lehmuth
30. Juli 2012
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