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Breaking Bad S05E03: Hazard Pay

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Vor einiger Zeit fragte sich Christian Alt angesichts all der christlichen Symbolik mit gutem Grund, »wer in dem begrenzenten Breaking-Bad-Universum nun Gott ist.« Das war in der Besprechung von End Times, der zwölften Folge der vierten Staffel. Er hatte dann auch schnell eine Antwort parat, nämlich Gustavo Fring, der einem beinahe übernatürlichen Instinkt folgend Walts tödlicher Falle aus dem Weg ging. Zum damaligen Zeitpunkt war diese Schlussfolgerung absolut richtig, doch bekanntlich ist Gott inzwischen tot und ein gebührender Nachfolger lässt noch auf sich warten.

Dass Walt sich in seiner hybrischen Selbstüberhebung gerne für den neuen Allmächtigen am Horizont Albuquerques halten würde, steht dabei außer Frage. Doch seine falsche Siegessicherheit wird schnell entlarvt: Da steht er breitbeinig in seinem Haus, in das er erst kurz zuvor wieder eingezogen ist, und hat das Gefühl, dass alle Probleme mühelos an ihm abperlen. Aber dann schreitet er in die Küche, greift sich einen Apfel, beißt hinein: »Ach Adam, was hast du getan! Als du sündigtest, kam dein Fall nicht nur auf dich, sondern auch auf uns, deine Nachkommen!«

Zunächst sehen wir jedoch wieder einmal Mike, der mit sehr viel irdischeren Problemen beschäftigt ist: Der Reihe nach stattet er allen neun verbliebenen Geschäftspartnern von Los Pollos Hermanos Besuch ab und pocht auf deren Verschwiegenheit, die im Gegenzug durch den Hazard Pay, einer Prämie für Ausnahmesituationen, reich belohnt werden soll. Da Gustavos Konten alle von der DEA eingefroren worden sind, muss das neue Unternehmen der drei Amigos für seine Altlasten einstehen. Loyalität kostet.

Das ehemalige Superlab liegt in Schutt und Asche, also will erst einmal ein neuer Ort zum Kochen gefunden werden. Unverdächtig, zentral und geräumig soll er sein, obendrein erfordert der Umgang mit Chemikalien ganz besondere Rahmenbedingungen. Das Wohnmobil von früher ist aus dem Spiel, weil es zu leicht liegenbleiben könnte: Schon einmal hat eine leere Autobatterie Walt und Jesse beinahe das Leben gekostet. Der Fund eines geeigneten Raums ist also ein schier unmögliches Unterfangen und die Vorschläge von Saul Goodman scheitern der Reihe nach an der Luftfeuchtigkeit, unangemeldeten Inspektionen des Gesundheitsamts und einer in der Umgebung befindlichen Polizeistation. Gus hat immerhin zwanzig Jahre damit verbracht, sein Labor einzurichten und die nötigen Vertriebswege aufzubauen.

Die letztendliche Lösung, die durch einen spontanen Einfall von Walter entdeckt wird, ist so einfach wie genial: Von Schädlingen befallene Häuser werden für ein paar Tage hermetisch abgeriegelt und voll giftiger Gase gepumpt. Ein ungewöhnlicher Laborgeruch würde unter all dem Gestank niemandem auffallen; auf die Idee, ein solches Haus zu betreten, würde sowieso niemand kommen. Kurzum: Befallene Häuser sind der perfekte Ort, um für einen Tag ein mobiles Labor aufzubauen und danach weiterzuziehen. Auch wenn die Produktion penibel durchorganisiert ist, erinnert Walts und Jesses unkonventioneller Plan stark an die Anfangszeit des Duos, die von ständiger Improvisation geprägt war. Nach all der Zeit im sterilen Superlab ist das eine mehr als willkommene Abwechslung.

Bei der Einrichtung der mobilen Arbeitsstätte zeigt sich mit Jesses Enthusiasmus nicht nur, dass er dem Neubeginn in seiner naiven, emotionalen Art freudig entgegensieht, sondern auch, dass er langsam, aber sicher zum wichtigeren Teil des Duos heranwächst und vermutlich schon jetzt unersetzbar ist. Der unberechenbare Junkie war einmal, mittlerweile strotzt er nur so vor Ehrgeiz und Einfallsgeist. Walts Ego hingegen ist für die laufende Operation viel zu gefährlich und als Koch ist er mittlerweile austauschbar.

Jesse hat seine Reifeprobe in Mexiko erfolgreich bestanden, die Pläne zum Einbau des Equipments in Roady-Koffer stammen genau wie die Idee, das Labor mit einem Plastikzelt gegen äußere Einflüsse abzuschirmen, von ihm. Zum Einkauf der fahrbaren Koffer schickt er Skinny Pete und Badger los und ganz nebenbei ereignet sich meine Lieblingsszene der dieswöchigen Episode: Beim Warten auf den Verkäufer schlägt Badger achtlos ein paar schräge Akkorde auf einer doppelhälsigen Gitarre an, Pete jedoch gibt auswendig eine eindrucksvolle Darbietung von Bachs “Solfeggietto”. Dieser ständige Bruch mit den Erwartungen, das Spiel mit Ironie und popkultureller Symbolik – das ist, was diese Serie so einmalig macht und einer einfachen Geschichte von Aufstieg und Fall so viel Tiefe verleiht.

Als Walt und Jesse nach einer gefühlten Ewigkeit wieder ins Labor zurückkehren und Kristalle züchten, wirkt das wie ein dringend notwendiger Befreiungsschlag. Zum allerersten Mal kontrollieren sie Produktion und Vertrieb im großen Maßstab, zum allerersten Mal können sie die größtmögliche Gewinnspanne abschöpfen. Das Kochen ist in gewisser Weise essentiell für den Fortlauf der Handlung, der ständige Fluss von Crystal Meth offenbar der einzige Ausweg aus Walts kritischer Situation und doch Ursache für immer neue Probleme.

Am Rande kommt es zum ersten Aufeinandertreffen von Walt und Brock, der nach seinem Krankenhausaufenthalt wieder vollständig genesen scheint. Ich wartete die ganze Zeit auf einen Hinweis, der darauf schließen ließe, dass der Junge seinen Peiniger wiedererkennen könnte. Schließlich wissen wir immer noch nicht, wie Walt Brock das Gift verabreicht hat, das sein eigenes Leben gerettet hat und das Leben des Kindes fast auslöschte. Stattdessen werden wir Zeuge, wie er dem Jungen ohne einen Funken Reue in die Augen blickt und den mitfühlsamen Onkel mimt: »I understand you were in the hospital. And Jesse told me that you were very brave.«

Auch Andrea ist in dieser Szene anwesend und gibt Walt Grund, Jesse auf sein Liebesleben anzusprechen. Er überliefert ihm augenscheinlich Glückwünsche zu seiner guten Beziehung mit der jungen Frau und deutet an, dass er sich eine gemeinsame Zukunft der beiden gut vorstellen könne. Als väterlicher Freund rät er Jesse, keine Geheimnisse vor Andrea zu wahren, da sie die beiden nur auseinanderbringen würden. Er gibt ihm sogar den Freifahrtschein, ihr alles über die kriminellen Erlebnisse der beiden zu erzählen. Dieser geschickte Trick macht Jesse klar, dass er unter keinen Umständen unschuldige Menschen in seine Machenschaften involvieren kann und führt schließlich zu seiner Trennung von Andrea.

Während des Gesprächs läuft im Hintergrund A Bird in the Head, ein Kurzfilm der US-amerikanischen Komikertruppe The Three Stooges. Die Anspielung auf übertriebende Gewaltdarstellung in Filmen wird kurze Zeit später ergänzt durch eine Szene, in der Walt mit seinen beiden Kindern eine Fernsehausstrahlung von Al Pacinos Scarface verfolgt. Skyler ist durch die Geräuschkulisse beunruhigt und stößt zu den anderen, als Tony Montana gerade ruft: »Say hello to my little friend!« Walt quittiert das Geschehen amüsiert mit der Bemerkung: »Everyone dies in this movie, don’t they?« Skyler dagegen beobachtet ihren Mann mit offenem Mund, ahnt sie doch nur zu gut, dass sich Walts Leben mittlerweile von der überspitzten Darstellung auf der Leinwand kaum noch unterscheidet. Schließlich wird das ratternde Maschinengewehr nahtlos in das Knattern der Geldzählmaschine überblendet: Das Geld fließt nur, solange die Kugeln fliegen.

Kommen wir auf die anfangs angestellte Untersuchung des kosmischen Machtgefüges in Breaking Bad zurück. Walt erzählt, die brutale Ermordung Victors durch Gus habe ihm zu Denken gegeben. Vielleicht habe er nicht nur zur Abschreckung von Gustavos Untergebenen sterben müssen, sondern weil er den Frevel begangen hatte, Walts Rezept selbst nachkochen zu wollen. »Maybe he flew too close to the sun, got his throat cut.« Dieser Satz ist eindeutig eine Drohung, aber gegen wen richtet sie sich? Zum einen fühlt Walt sich durch Mike um sein Geld betrogen, weil er keine Verpflichtung spürt, sich an den Schulden Gus’ zu beteiligen. Zum anderen versucht er, Jesse auf dauerhaft auf seine Seite zu ziehen, nachdem dieser im Streit zwischen Walt und Mike nicht von seiner Vermittlerrolle weichen will. Die Hoffnung, dass Walt feststellen könnte, dass er der eigentliche Ikarus ist, und sich läutern möge, haben wir zu diesem Zeitpunkt schon lange aufgegeben.

Florian Lehmuth
2. August 2012
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