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Breaking Bad S05E04: Fifty-One

© AMC

Der Pontiac Aztek, hergestellt vom US-amerikanischen Autobauer General Motors, ist eine recht außergewöhnliche Kreuzung zwischen SUV und Limousine. Bei seiner Einführung im Jahr 2001 erhielt das Fahrzeug durch sein unkonventionelles Design schnell Aufmerksamkeit und wurde von den Lesern des britischen Daily Telegraph gar zum hässlichsten Auto aller Zeiten gewählt. Während die Produktion anfangs optimistisch anlief und sogar um eine Sonderedition ergänzt wurde, stagnierten die Verkaufszahlen schon bald und zwangen den Hersteller, die Serie bereits 2005 wieder einzustellen. Beobachter spotten, dass der Wagen nicht nur durch seine Aussehen unsterblich geworden ist, sondern auch, weil er es geschafft hat, eine 84-jährige Traditionsmarke zu Fall zu bringen – Pontiac wurde 2010 Opfer von Umstrukturierungsmaßnahmen seines Mutterkonzerns.

Der Pontiac Aztec ist auch Walter Whites Fortbewegungsmittel seiner Wahl und wurde in den letzten neunundvierzig Episoden zu einer Art Markenzeichen. Er verkörpert wie kein anderes Fahrzeug den Alltag des typischen Mittelschichtvertreters, der hart um seinen Stand in der Gesellschaft kämpfen muss, aber trotzdem Status demonstrieren und natürlich aus dem Einheitsbrei der Masse hervorstechen will. Und obwohl Walts Aztek alle Blessuren der Vergangenheit mühelos weggesteckt hat, obwohl die Versicherung für alle Reperaturkosten aufkommt, obwohl der Mechaniker verspricht, dass weitere 200.000 Meilen auf jeden Fall möglich sind, erkennt Walt, dass er diese Mittelschicht, diesen Einheitsbrei längst hinter sich gelassen hat. Er greift sich die Heisenberg-Kopfbedeckung vom Beifahrersitz und tritt seinen Wagen für lächerliche fünfzig Dollar an die Werkstatt ab. Der Hut siegt über das Auto.

Anschließend wird die Garage der Whites nicht nur um einen sportlichen Chrysler aufgestockt, der Walts neuer Position als Verbrecherkönig endlich gerecht wird. Auch Junior darf seinen unattraktiven PT Cruiser wieder in eine Dodge Challenger tauschen, wie er sie sich ursprünglich gewünscht hat. Die Aufbesserung des Fahrzeugparks gibt allerdings Skyler einen Grund, sich erstmals seit langer Zeit wieder gegen ihren Mann aufzulehnen. Ihre Bedenken gelten nicht Walt, dem sie sich schon lange untergeordnet hat, sondern den Kindern. Sie möchte sie aus dem Einflussbereich Walts entfernen, weil sie genau weiß, dass das Treiben des Vaters seine Kinder früher oder später unausweichlich in Gefahr bringen wird. Doch sie muss auch schnell erkennen, dass sie sich in einer schlechten Verhandlungsposition befindet: Walt sorgt für den Unterhalt der gesamten Familie, bisher war auch deren Sicherheit stets gewährleistet und obendrein ließe sich Junior unmöglich dazu bewegen, seine vertraute Umgebung ohne dringenden Grund zu verlassen.

Skyler befand sich schon vom Beginn der Serie an in einer schwierigen Lage und bot Vertretern sexistischer Rollenbilder große Angriffsflächen. Schon immer war sie die fürsorgliche Mutter, anfangs aber auch gleichzeitig die emanzipierte Ehefrau, die zuhause die Oberhand hatte. Sie kontrollierte alle Rechnungen und verfolgte gar die Telefongespräche ihres Mannes nach. Das alles tat sie aber nur, um den Zusammenhalt der Familie aufrechtzuerhalten. Auf der anderen Seite sah Walt für sich keinen anderen Ausweg, als hinter dem Rücken seiner Frau mit der Produktion von Crystal Meth zu beginnen, um auch über seinen Tod hinaus noch für sie sorgen zu können. In seiner Selbstwahrnehmung geschieht all das zum Besten seiner Familie, auch wenn sie ihn nicht versteht und ihm nicht dafür dankt. Und Walts Perspektive ist immerhin bis auf sehr seltene Ausnahmen die Perspektive, aus der die Geschichte erzählt wird. Ein Zitat von C. S. Lewis fasst die Situation treffend zusammen: »Of all tyrannies, a tyranny sincerely exercised for the good of its victims may be the most oppressive.«

Auf der Gegenseite bekommen wir nur ansatzweise mit, wie sehr Skyler unter dem Schweigen ihres Mannes leiden muss, bevor sie von dessen wahrer Tätigkeit erfährt. Wochenlang wartet sie auf eine Erklärung, wohin Walt Tag für Tag ohne ein Wort darüber zu verlieren verschwindet, und der gemeine Zuschauer ist schnell mit einer Beleidigung dabei, wenn ihr scheinbar einfach nicht klarwerden will, dass sie von seiner harten Arbeit doch nur profitiert und ihr früher oder später sowieso alles klarwerden wird. Die Frau ist also zum einen zwar die Rechtfertigung für das Handeln des Mannes, auf der anderen Seite bremst sie ihn aber mit ihrer ständigen Nörgelei. In diesem Zusammenhang fällt öfter der Vergleich zwischen Skyler und Rita aus Dexter, die eine ähnliche Rolle einnimmt. Martyn Pedler schreibt dazu: »Rita prevents Dexter killing. Skyler prevents Walt cooking meth. And this is where the hate comes in—because death and drugs are exactly what people want to see!« An dieser Stelle kann man sich die Frage stellen, inwieweit die Verantwortung für solch eine Wahrnehmung bei den Drehbuchautoren liegt. Immerhin stellen sie das Handeln des Mannes als legitim und unausweichlich dar, das Handeln der Frau jedoch als illegitim und hinderlich. Es ist aber anzunehmen, dass in vielen Fällen einfach auf derart fest verankerten Rollenbildern aufgebaut wird, ohne sie zu hinterfragen.

Bei den Whites hat sich die Situation für Skyler inzwischen weiter verschlechtert. Sie ist nun in Walts Geheimnisse weitgehend eingeweiht und ahnt sehr gut, wie düster dessen Alltag aussehen muss. Sie unternimmt jedoch keinen Versuch, aus der ihr aufgezwungenen Realität auszubrechen. Damit macht sie sich selbst zur Gehilfin in einem Spiel, mit dessen Regeln sie nicht vertraut ist. Im Gegensatz zu Walt gibt es für sie mittlerweile keine Optionen mehr, zwischen denen sie wählen kann. In ihrer Isolation und Verzweiflung steht sie kurz davor, sich etwas anzutun. Nur ihre Kinder zwingen sie dazu, noch nicht aufzugeben. Angewidert von Walts heuchlerischer Selbstdarstellung entfernt sie sich an seinem einundfünfzigsten Geburtstag immer weiter vom Tisch und den Gästen. Schließlich kommt ihr die Idee, vor den Augen von Marie und Hank einen Selbstmordversuch im Pool vorzutäuschen. Einen deutlicheren Hilfeschrei hätte sie nicht senden können. Mit der Einwilligung ihrer Schwester, die Kinder für ein paar Tage bei sich aufzunehmen, hat sie ihr Ziel vorerst erreicht. Skyler geht bis an ihre Substanz, um für die Sicherheit ihrer Kinder zu sorgen. Doch Walt mach ihr klar, dass er nicht bereit ist, von seinen Plänen abzuweichen. Mit ausgestreckten Armen drängt er sie bis in die letzte Ecke des Schlafzimmers. Sie wünscht ihm schließlich offen den Tod und macht ihm klar, dass die Zeit auf ihrer Seite ist. Der Krebs wird wiederkehren. Walt hingegen, von seiner Selbstüberschätzung völlig verblendet, berichtet von Jesse, der ihn auch einmal tot sehen wollte und sich dann doch wieder mit ihm versöhnt hat. Währenddessen läuft seine Zeit auf der von Jesse geschenkten Armbanduhr unerbittlich ab. Der letzte Zeigerschlag klingt sicher nicht ohne Grund wie das Nachladen eines Gewehres.

Alles in allem durften wir eine Episode erleben, die uns in der Chronologie der Ereignisse nicht viel weitergebracht hat, emotional dafür überaus spannend war. Doch mit der detaillierten und dringend notwendigen Charakterstudie Skylers ist es nicht getan, im Nebenplot bekommt nämlich auch Lydia einen weiteren Auftritt. Ich wusste lange Zeit nicht, wie ich die Figur Lydias und ihr völlig überdrehtes Verhalten einordnen sollte. Zunächst kann man davon ausgehen, dass sie ein weiteres Beispiel für unterdrückte Frauen in einem männlich dominierten Umfeld sein soll. Darüber hinaus ähnelt sie als Geschäftsfrau und Mutter aber auch ganz verblüffend Skyler. Der einzige Unterschied zwischen den beiden ist, dass Lydia sich – wovon ich zumindest ausgehe – bewusst für ihre kriminelle Karriere entschieden hat. So soll es aber nicht bleiben, denn das Geschäft wird ihr zu riskant und sie möchte aussteigen, indem sie Jesse und seine Partner auf nicht sehr geschickte Art und Weise hereinlegt.

»That’s what I get for being sexist,« behauptet Mike, und er hat recht: Er ist sexistisch, aber nicht, weil er Lydia verschont hat, sondern weil er vortäuscht, sie aus Mitleid nicht zur Strecke gebracht zu haben, anstatt zuzugeben, dass er von ihr abhängig ist. Frauen, so könnte man meinen, haben nichts verloren in einer durch und durch von Männern geprägten Welt, die mit ihnen nur umgehen können, wenn sie brav zuhause mit dem Essen auf sie warten und ohne nachzufragen dankbar die Geschenke des Gatten annehmen.

Florian Lehmuth
7. August 2012
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