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Breaking Bad S05E05: Dead Freight

© AMC

»I’ve lost my family, everything that I care about,« beklagte sich Walter noch zu Beginn der dritten Staffel. Nachdem seine Frau vom Geschäft mit den Drogen erfahren hatte, wurde er aus seinem eigenen Haus geworfen; gar den Kontakt zu seinen eigenen Kindern untersagte sie ihm. Walt war am Boden zerstört, holte sich bei einer grundlosen Konfrontation mit einem Polizisten eine Dosis Pfefferspray ab und verbrachte eine ganze Nacht inmitten von Popcornkrümeln auf dem Boden seines temporären Apartments. Er hatte erkannt, dass all seine Mühen zwecklos waren, weil sie das eigentliche Ziel verfehlten: Für eine glückliche Zukunft seiner Familie zu sorgen. Auch wenn er inzwischen wieder zurück in die Negra Arroyo Lane 308 gezogen ist und sich die häusliche Situation zunächst ein wenig stabilisiert hat, erreicht der Zerfall der Familie zwei Jahre später wieder ein ähnliches Ausmaß.

Holly und Walter Junior sind bis auf unbestimmte Zeit bei Hank und Marie eingezogen. Skyler sieht die auswärtige Unterbringung als einzige Möglichkeit, deren Sicherheit zu gewährleisten und ist nur unter dieser Bedingung bereit, an Walts gefährlichem Spiel teilzunehmen – auch wenn sie sich viel eher als seine Geisel denn als Partnerin betrachtet. In dieser Lage befindet sich Walt also, als er gleich zu Beginn der dieswöchigen Episode seinen Schwager in dessen neuem Büro aufsucht. Hank war schon immer die einzige Person, der gegenüber Walter sich mit seinen Beziehungsproblemen ein wenig öffnen konnte. So platzt er gleich nach dem Austauch der Formalitäten heraus: »Skyler doesn’t love me anymore.«

Mit diesem Geständnis ist sein Gegenüber ganz offensichtlich überfordert. Hank unternimmt einen unbeholfenen Versuch, Walt aufzumuntern, und schließt vorsichtshalber die Jalousie. Nun kennen wir Walt aber mittlerweile so gut, dass wir wissen, dass er selbst ein so sensibles Thema wie die Liebe seiner Frau gnadenlos für seine eigenen Zwecke missbrauchen wird. Spätestens hier wird auch mehr als deutlich: Nicht nur Skylers Zuneigung zu ihrem Mann ist vollständig erloschen, auch Walt empfindet längst nichts mehr für sie. Was möchte er also mit seinem emotionalen Ausbruch erreichen? Zunächst sieht Walts Schauspielerei nach einem einfachen Machtspiel aus. Als wolle er nur sicherstellen, dass Hank und Marie auch wirklich auf seiner Seite stehen, nachdem er sich durch die Erwähnung von Sklyers Affäre schon eindeutig in der Opferrolle platziert hat.

Kaum hat Hank den Raum auf der Suche nach Kaffee verlassen und sind Walts falsche Tränen getrocknet, erfahren wir die wahren Gründe für seinen Besuch. Er schließt einen Keylogger an den PC des frisch ernannten ASACs an und verwanzt einen Bilderrahmen auf seinem Schreibtisch, der passenderweise ein Foto von Hank und Marie als glücklichem Paar zeigt. Nachdem die DEA zu Beginn der Staffel den Teilhabern an Frings Unternehmen gefährlich nahe gekommen ist, wird die Ermittlung mit Hanks Beförderung und der Totalüberwachung des neuen örtlichen DEA-Chefs praktisch lahmgelegt. Nicht einmal Gus mit seinem Motto »Keep your friends close but your enemies closer« war seinen Feinden jemals so nahe wie Walt es nun ist.

Der Zweck des Lauschangriffs wird schnell deutlich, als Lydia in ein dunkles Kellergewölbe gezerrt wird, um von Walt, Jesse und Mike gerichtet zu werden. Als sie in der letzten Woche einen Ortungschip an einem Fass Methylamin entdeckte, geriet sie bei Mike unter den Verdacht, einen Grund für ihren Ausstieg aus dem Meth-Geschäft inszeniert zu haben. Nur Jesses Vorsicht hat sie es zu verdanken, dass sie noch eine Chance bekommt, die anderen von ihrer Unschuld zu überzeugen, bevor sie auf bloßen Verdacht hin erschossen wird. Bei allem moralischen Wahnsinn, wie kaltblütig hier über ein menschliches Leben geurteilt wird, muss festgestellt werden, dass wir in dieser Episode wahrscheinlich den Höhepunkt der professionellen Arbeit des Trios erleben – auch wenn Zufälle nach wie vor eine große Rolle spielen.

Das Schicksal spielt Lydia in die Hände, als in letzter Sekunde klar wird, dass die GPS-Tracker an den Fässern tatsächlich das Ergebnis stümperhafter Polizeiarbeit sind. Mit ihrer Entdeckung hat sie also in Wirklichkeit alle Beteiligten vor einem langen Gefängnisaufenthalt bewahrt. Das Problem des fehlenden Präkursors ist dabei nach wie vor ungelöst. Lydia weiß, dass das Methylamin aus China an die Westküste verschifft und dann auf dem Schienenweg quer durch die Südstaaten transportiert wird. So entsteht der Plan, einen Zug zu überfallen. Jesse fragt: »Rob it? Like Jesse James?« In seinem Ausdruck schwingt ungläubiges Erstaunen mit, aber auch ein Funken kindlicher Freude. Wieder einmal wird Breaking Bad dem Label Neo-Western vollends gerecht.

Heat ist ein Kriminalfilm aus dem Jahr 1995, in dem die beiden Schauspiellegenden Al Pacino und Robert de Niro erstmals in gemeinsamen Szenen auftreten. Auch Walter Junior wäre beinahe in den Genuss dieses Stückchens Kinogeschichte gekommen, lehnt jedoch Hanks Angebot ab, weil er offen gegen die Bevormundung durch seine Familie protestiert. Im Zentrum des Films steht der Konflikt zwischen Polizei und Verbrechern, zwischen Jägern und Gejagten. Al Pacino muss als Lieutenant Vincent Hanna mit seinem gescheiterten Privatleben erkennen, dass er selbst nicht besser ist als diejenigen, die er bekämpft. De Niro ist Neil McCauley, ein genialer Gangsterboss mit schattenreicher Vergangenheit, der nur das Leben auf der anderen Seite des Gesetzes kennt und wie sein Gegenstück nicht von seinem Schicksal weichen kann.

Achtung: Solltet ihr vorhaben, Heat in der näheren Zukunft selbst anzusehen, solltet ihr an dieser Stelle wegen Spoilern besser zu lesen aufhören.

Zwischen Heat und dem Finale von Dead Freight ergeben sich einige hochinteressante Parallelen. Der Film beginnt mit einem minutiös geplanten Überfall auf einen Geldtransporter, der allerdings wegen des panischen Verhalten eines Teammitglieds beinahe schiefgeht. McCauleys Leute haben für die Operation Waingro angeheuert, der noch nie zuvor mit ihnen zusammengearbeitet hat. Als die drei Wachleute gefesselt sind und die Beute sichergestellt ist, erschießt Waingro ohne jeden Grund einen von ihnen, was dazu führt, dass auch die anderen beiden getötet werden müssen, um keine Zeugen zurückzulassen. Fortan wendet sich das Blatt für McCauley und seine Männer; durch einen Hinweis am Tatort kommt Hanna auf ihre Spur. Waingro wird aus dem Team geworfen und entwickelt sich zum erbitterten Feind McCauleys.

Die dieswöchige Folge von Breaking Bad endet damit, dass Jesse einen detaillierten Plan für den Überfall des Güterzugs ausarbeitet. Zusammen mit den Mitarbeitern von Vamonos Pest vergraben Walt und er zwei Tanks im Wüstenboden. Das gestohlene Methylamin soll durch Wasser ersetzt werden. So werden die Käufer später denken, die Hersteller in China hätten das Produkt gestreckt, erklären sie Todd, und der attestiert ihnen ehrfürchtig: »You guys thought of everything!« Zusätzlich wird Todd doppelt eingeschärft, dass niemand jemals von dem Diebstahl erfahren dürfe.

Als der Heist schließlich durchgeführt wird, zeigt sich, dass Walt und Jesse doch nicht an alles gedacht haben. Der Zug stoppt wie geplant, weil sie eine Autopanne auf dem Bahnübergang vorgetäuscht haben; die ersehnte Flüssigkeit wird abgepumpt und durch Wasser ersetzt – doch auf die Idee, dass zufällig vorbeikommende Personen das Geschehen beobachten und eingreifen könnten, sind sie nicht gekommen. Der Überfall ist noch nicht beendet, als die Gleise schon wieder frei sind, doch Walt beharrt in seinem Starrsinn und seinem Perfektionismus darauf, den Tank bis zum letzten Tropfen mit Methylamin zu füllen. Im letzten Moment können die drei ihre Operation abschließen, als sie bemerken, dass sie von einem kleinen Jungen beobachtet werden, der ihnen lächelnd zuwinkt. Todd fasst den aus seiner Sicht einzig richtigen Entschluss und drückt den Abzug seiner Pistole durch.

Wir wissen nicht, wie Breaking Bad enden wird, doch der Schluss von Heat gibt einen Ausblick darauf, wie Walter White zu Fall kommen könnte: McCauley führt noch einen letzten Banküberfall durch, um für den Rest seines Lebens versorgt zu sein. Die Flucht vor der Polizei gelingt ihm nur unter Inkaufnahme immenser Verluste; die Bande richtet bei einer Schießerei mitten in der Stadt ein Blutbad an. Schließlich befindet er sich jedoch auf dem Weg zum Flughafen, die Freiheit winkt. Dann kommt ihm in den Sinn, dass er noch eine Sache erledigen muss: Er will Waingro zur Strecke bringen. Durch die Exekution Waingros wird Hanna wieder auf ihn aufmerksam und zwischen den beiden kommt es zu einem dramatischen Schusswechsel, an dessen Ende McCauleys Brust von mehreren Kugeln durchsiebt ist. Sein Starrsinn und sein Perfektionismus wurden ihm zum Verhängnis.

Florian Lehmuth
21. August 2012
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