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Breaking Bad S05E06: Buyout

© AMC

Etwas mehr als zwei Monate ist es her, dass Patrick Keefe in der New York Times das beeindruckende Porträt eines erfolgreichen mexikanischen Geschäftsmanns zeichnete. Joaquín Guzmán, genannt El Chapo, ist Chef des Sinaloa-Kartells, das den Handel mit Narkotika entlang der gesamten Westküste Mexikos dominiert. Guzmán ist möglicherweise der mächtigste Drogenhändler der Welt und sein Unternehmen fährt jährlich Gewinne in Höhe von mehreren Milliarden ein. Trotzdem muss er sich mit alltäglichen Problemen herumschlagen, die auch einem Heisenberg auf der anderen Seite der Grenze Mühe bereiten: Die Distributionswege müssen stetig ausgebaut werden; Geld will gewaschen sein, um kein Aufsehen bei den Steuerbehörden zu erregen; Leichen unliebsam gewordener Personen müssen in Lauge zersetzt werden.

Das Absurde: Je extremer und makaberer die Sendung wird, desto näher kommt sie der Wirklichkeit. Köpfe, die auf Schildkröten befestigt zur wandelnden Bombe werden, können nur ansatzweise die Grausamkeit des mexikanischen Bürgerkriegs beschreiben. In einem weiteren Artikel mit dem Titel “The Uncannily Accurate Depiction of the Meth Trade in ‘Breaking Bad’” kommt Keefe zu dem Schluss, dass der einzige Punkt, an dem die Serie unrealistisch wird, der Import der zum Kochen nötigen Chemikalien ist. Der Handel mit Stoffen wie Methylamin unterliegt in den USA strengen Auflagen, weshalb sich die Superlabs, gegen die das Labor von Gus Fring noch klein aussehen würde, stets auf der anderen Seite der Grenze befinden.

Dabei haben unsere Antihelden in Albuquerque die Versorgung mit dem notwendigen Präkursor längst gelöst: Der Überfall auf den Methylamin-Tank eines Güterzugs war ein voller Erfolg. Greifbare Probleme sind im Nachhinein bald gelöst, der Kollateralschaden ist schnell beseitigt. Das Motorrad des Zeugen wird wie schon oft geübt mit Flusssäure übergossen, gleichermaßen wird der Junge selbst in Säure aufgelöst. Ach richtig, so weit ist es bei Breaking Bad nämlich mittlerweile gekommen: Kinder werden erschossen und in Säure aufgelöst. Das bringt uns zur psychischen Seite des Problems, das in seiner Brutalität nicht nur Zuschauer aller Art nachhaltig verstört hat.

Jesse wird von Todds Mord an einem unschuldigen Kind wie erwartet am meisten getroffen. Im Gegensatz zu seinen Kollegen hört er noch auf sein Gewissen und kann den Anblick des Toten nicht länger ertragen. Er wartet vor der Lagerhalle, in der die anderen stoisch an der Vernichtung von Beweismaterial arbeiten. Mike lässt kurz hinter seine Fassade blicken und verrät, dass er nicht mehr lange an diesem dunklen Geschäft teilhaben will. Walt dagegen ist ungerührt; als Todd die Leiche aus dem Sand ausgräbt, wartet er schon mit der passenden Tonne auf ihn. Schließlich tritt Todd heraus und kommentiert den Vorfall gegenüber Jesse mit »shit happens, huh?« In Jesse kocht es. Todds Rohheit erschüttert ihn. Er schlägt zu.

Die Runde der Drei entscheidet anschließend, wie sie mit dem Kindermörder in eigenen Reihen weiter verfahren will. Es steht zur Debatte, ihn zu feuern, zu liquidieren oder ihn im Team zu behalten und fortan ein wachsames Auge auf ihn zu werfen. Jesse ist zutiefst entrüstet, dass er sich mit seinem Idealismus nicht durchsetzen kann, doch er muss sich dem Urteil der anderen beiden beugen – Todd wird nicht ausgestoßen, die Angst, er könnte sich wie Waingro aus Heat gegen die Gruppe stellen, war grundlos. Der Bann der Vogelspinne ist dagegen nicht vorüber: Lauernd sitzt sie in ihrem Glas und wartet auf Beute. Ihr Biss tötet nicht, er lähmt. Der Tod des Jungen hat Walt und seine Kollegen tief gespalten. Für die Zukunft der illegalen Nebenoperation von Vamonos Pest sieht es düster aus.

Mike wird seit Tagen von der DEA rund um die Uhr überwacht. Als er die Blicke seiner Beobachter im Nacken spürt, während er mit seiner Enkelin Zeit auf dem Spielplatz verbringt, wird ihm klar, dass das Spiel für ihn vorbei ist. Erst kurz zuvor hat er das Leben eines Jungen auf grausame Weise zerstört und er will alles daran setzen, dass der kleinen Kaylee ein solches Schicksal erspart bleibt. Hank wartet nur darauf, dass der unantastbare Mike einen Fehler macht. Der alte Mann legt sich einen Plan für seinen Ausstieg zurecht und informiert Jesse, weil er weiß, dass er nur bei ihm Chancen hat, ihn auf seine Seite zu ziehen.

Jesse plagen noch immer die Gewissensbisse, als der Grund für seine Unruhe in einer Fernsehmeldung einen Namen bekommt: Drew Sharp musste sterben, damit er finanziell gut versorgt ist. Jesse möchte unter keinen Umständen mit der Angst leben, dass seine illegale Tätigkeit weiterhin Menschen in Gefahr bringen könnte. Walt heuchelt Anteilnahme, doch schon im nächsten Halbsatz erklärt er stolz, dass sich der Tod des Kindes für sie wahrlich gelohnt habe. Als er Jesse vorzeitig nach Hause schickt, muss dieser dann gar mit anhören, wie sein Partner während der Arbeit ganz unbekümmert zu pfeifen beginnt. Eine Möglichkeit zum Ausstieg kommt Jesse zu diesem Zeitpunkt mehr als recht.

Serien wie Breaking Bad bringen uns dazu, Todesurteile zu fällen. Immer, wenn eine Person auf der Leinwand umgebracht wird, entspringt automatisch die Frage, ob ihr Tod gerechtfertigt ist oder nicht. Neben der Tatsache, dass kein Mensch solche Urteile fällen sollte, ist das Problem, dass Fernsehen niemals objektiv ist. Das trifft schon auf Nachrichtensendungen zu und natürlich umso mehr auf Krimis, Thriller und Drama-Serien wie diese, die allesamt von einer ausgeprägten Schwarzweiß-Darstellung bestimmt werden. Selten gibt es Fälle, in denen eine ausgeglichene, zweiseitige Argumentation überhaupt möglich ist. Das tifft teilweise auf Drew Sharp zu – wobei wohl niemand freiwillig Todds nihilistische Sichtweise unterstützen würde – und selbstverständlich auch auf Walter White.

Walt den Prozess zu machen sollte eigentlich ganz einfach sein, scheitert aber letztendlich daran, wie sein Schicksal dargestellt wird. Immer wieder hört man von verschiedenen Seiten die Frage, wann Walt sich endgültig und unwiederbringlich in ein Monster verwandelt hat. Diskutiert werden dann Momente wie das Angebot Elliotts, seine Arztkosten zu übernehmen, der Tod Janes oder der Wiedereinstieg in die Meth-Produktion, nachdem er durch den Verkauf an Gus eigentlich schon zu einem reichen Mann geworden war. Merkwürdigerweise scheint schnell in Vergessenheit zu geraten, dass Walt schon in der allerersten Episode zu einem skrupellosen Kriminellen wurde und seine erste Leiche auf dem Gewissen hatte.

Dadurch, dass Übergang von Walter White in Heisenberg so lückenlos dokumentiert wurde, dadurch, dass all seine Entscheidungen, waren sie auch noch so falsch, immer als alternativlos hingestellt wurden, gelingt es uns, hinter der hässlichen Fratze des Monsters immer noch einen Funken Menschlichkeit zu entdecken. Noch immer rührt Walts tragisches Schicksal die Herzen der Zuseher zu unnötigem Mitleid, noch immer erzeugt die Figur des Heisenbergs eine unheimliche Faszination, gar Bewunderung. Um das Ziel der Serie zu erreichen und ein einstimmiges Todesurteil über den Angeklagten zu erzwingen, müssen die Autoren Walt nun also also dazu bringen, in seiner Gier bewusst auf eine glänzende Alternative zu verzichten.

Einen großen Schritt haben sie vollbracht, als er entschlossen das Angebot ablehnt, sein Drittel des Methylamins für fünf Millionen Dollar zu verkaufen und der dunklen Seite des Gesetzes für immer den Rücken zu kehren. Mike und Jesse unternehmen einen Versuch, nur ihren jeweiligen Anteil des Präkursors zu veräußern, doch der Käufer möchte zusätzlich zur Ware die Garantie, dass auch das blaue Meth vom Markt verschwinden wird. Walt lässt sich von Jesses noch so starkem Drängen nicht umstimmen: Er hat schon einmal seinen Anteil an einem Unternehmen unter Wert verkauft. Damals haben ihn fünftausend Dollar um seine Rechte an Gray Matter gebracht, das heute 2,16 Milliarden wert ist. Doch Walt denkt zu kurz. Fünftausend Dollar reichen aus, um zwei Monate zu überleben. Fünf Millionen sind mehr, als er sich jemals für sein gesamtes Leben hätte erträumen können.

In einem ungewohnten Anflug von Offenheit erklärt er deshalb, was ihn wirklich antreibt. Seine Frau wartet nur darauf, dass er endlich aus der Welt scheidet. Der Kontakt zu seinen Kindern wurde ihm verboten. Das Kochen von Meth ist seine einzige Möglichkeit, Erfüllung zu finden und als Verbrecherlegende unsterblich zu werden. Am gefährlichsten ist der Mann, der nichts mehr zu verlieren hat. Walt begiebt sich absichtlich ins Spiel mit dem Tod, er scheut keine Verluste, genießt es gar, die Pistole an seine Schläfe gehalten zu bekommen. Dabei ist er momentan vielleicht gar nicht die größte Bedrohung für sich selbst: Skyler steht so stark unter Spannung, dass sie kurz davor ist, ihre ganze Geschichte auszuplaudern. Bislang hindert sie nur, dass sie ihre Verzweiflung schlichtweg nicht in Worte fassen kann. Alles ist eine Frage der Zeit.

Florian Lehmuth
23. August 2012
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