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Breaking Bad S05E15: Granite State

Breaking Bad S05E15 Walt

© AMC

Achtzig Ar Land im Nichts. Zwanzig Quadratmeter Einsamkeit. Vier Wände erdrückender Leere. Am Tag seiner Ankunft ist Walt voller Tatendrang, möchte sich nicht durch die Sicherheitsvorkehrungen von Staubsaugerhändler Ed behindern lassen. Zwölf Geldbündel in der Tasche und Heisenbergs unverkennbaren Hut auf dem Kopf ist Walt bereit für einen Neuanfang. Im leuchtenden Schnee zeichnet sich der Pfad in die Zivilisation ab. Doch dann schleichen sich Zweifel ein. »Tomorrow.« Monate später hat es Walt immer noch nicht über seine Grundstücksgrenze hinaus geschafft. Der Weg zum Tor strengt ihn bereits deutlich mehr an als früher. Den Gedanken, seinen Unterschlupf zu verlassen, hat er offensichtlich aufgegeben. Nun wartet er sehnsüchtig auf seinen monatlichen Besuch.

Die Einsamkeit nagt an Walts Gesundheit. Auf der körperlichen Seite ist er verwahrlost, schwach und dürr. Seine Augen sind im fahlen Licht der Holzhütte so schlecht geworden, dass er ohne Sehhilfe nicht mehr Zeitung lesen kann. Eines Nachts rutscht ihm der Ehering widerstandslos vom Finger. Auch das Wachstum des Krebsgeschwürs wird durch Alleinsein beschleunigt. Man kann nur spekulieren, wie es um das psychische Wohl des Einsiedlers steht. Die Erinnerung an vergangene Schrecken muss seine Träume zur Qual machen. Seine düsteren Aussichten dürften ihm jeden Lebensmut stehlen. Walt stellt sich ganz auf seinen baldigen Tod ein. Und doch haben ihn die Lebensgeister noch nicht ganz verlassen. »Stay a little longer?«

Eine Reise zwischen Himmel und Erde

War es egoistisch von Walt, seine Familie zurückzulassen? Es wirkt zumindest so, als habe er seine Flucht schlecht geplant. Vor der Abfahrt ist sein Kopf voller Aufgaben, die noch erledigt werden müssen, bevor er sich der Polizei stellen kann oder sterben darf. Doch erst als er in der Einöde New Hampshires ankommt, merkt er, dass er seine Pläne ohne Verbindung zur Außenwelt nicht umsetzen kann. Der Preis der Freiheit ist ein Leben in sozialer Isolation, ein Vegetieren ohne Sinn und Zweck. Das Gefängnis, das Walt sich selbst errichtet hat, ist kompromissloser als jede Zelle in Albuquerque. Um den abgemagerten Exilaten nicht verhungern zu lassen, bringt Ed ihm zwei Kartons Ensure: Die Flüssignahrung, mit der Häftlinge in Guantanamo Bay zwangsernährt werden.

Trotzdem klingt Sauls Vorschlag nicht sehr überzeugend. Äußerlich betrachtet mag es für Walt keinen großen Unterschied machen, ob er in den Bergen Neuenglands oder der Wüste Neumexikos eingesperrt ist. Seinen Handlungsspielraum kann er aber nur bewahren, indem er vor dem Gesetz davonläuft. Würde er aufgeben, wäre sein Leben vorbei. Walt hat noch immer Hoffnung, seiner Familie das verbliebene Geld hinterlassen zu können. Möglicherweise plant er auch noch, Jacks Leute auszuschalten und sich den übrigen Teil zurückzuholen. Die Isolation hat ihm alle Willensstärke geraubt. Doch als er hört, dass Ed sein Vermögen nicht weiterleiten möchte, wird er wieder aktiv. Der Versuch der Wiedergutmachung ist alles, was ihm noch bleibt. »It can’t all be for nothing.«

Ein anderer Reisender zwischen Himmel und Erde entkommt dem Tod ein weiteres Mal. Als Jack sieht, dass sein Häftling Todds Kindermord bezeugen kann, ist es beinahe um Jesse geschehen. Aus einem seltsamen Grund wollen sich die Nazis aber noch nicht vom Drogenhandel trennen. Sind es tatsächlich Todds Gefühle für Lydia, die das riskante Unternehmen rechtfertigen? Oder ist Jack dem gleichen Größenwahn verfallen, der auch Heisenberg zu Fall brachte? Für Jesse spielt es keine Rolle, aus welchem Grund er verschont wird. Bevor er noch einmal für seine Unterdrücker kochen soll, möchte er lieber sterben. Doch jetzt, wo Jacks Entscheidung gefallen ist, gibt es aus der Hölle kein Entkommen. Die Erlösung ist Jesse nicht gegönnt; stattdessen erreicht sein Schmerz eine neue Dimension.

Das Leiden der Unschuldigen

Andrea stirbt als Unschuldige. Es ist diese Art von Opfern, die das kriminelle Verhalten der Antihelden so unverzeihlich machen: Kinder, Freunde, Angehörige. Auch Breaking Bad, das sich alle Mühe gibt, die Grenzen zwischen Gut und Böse zu verwischen, macht hier einen Unterschied. Die meisten Charaktere entscheiden sich bewusst für die dunkle Seite und sind dementsprechend bereit, die Konsequenzen zu tragen. Andererseits gibt es Figuren, die nur deshalb sterben müssen, weil sie sich zur falschen Zeit am falschen Ort befinden. Jesse hat mit Gale selbst einen Mord zu verantworten, der sich irgendwo zwischen diesen Polen befindet. Aber er hat in seinem Leben genug Buße getan. Akteure wie Todd können dagegen nicht mit Gnade rechnen.

Skyler darf ihre Kinder vorerst behalten. Sie ist so arm, dass sie von einem völlig inkompetenten Pflichtverteidiger vertreten wird. Um ein klein wenig zu verdienen, arbeitet sie halbtags in einer Taxizentrale. Walt hört kaum hin, als Ed ihm all das erzählt. Doch seine Wand ist großflächig mit Zeitungsberichten über die Whites tapeziert. Skyler befindet sich demnach in größten Schwierigkeiten, da der Aufenthaltsort von Walt, Hank und Gomez noch immer unbekannt ist. Es wird gemutmaßt, sie habe von den Aktivitäten ihres Mannes gewusst und man droht ihr, sie selbst wegen Drogenhandels anzuklagen. Unterdessen tauchen im Südwesten der USA und in Europa wieder Spuren des blauen Meths auf und geben den Anschein, Heisenberg sei noch immer an der Arbeit.

Während die Erzeugnisse der Nazigang Skyler also auf Umwegen schaden, droht Todd ihr ganz direkt. Er liegt Lydia zu Füßen und sie möchte jede Spur vernichten, die eine Verbindung zwischen ihr und Heisenberg herstellen könnte. Bei seinem Besuch bei den Whites lässt Todd ungewohnte Milde walten. Möglicherweise hegt er immer noch Respekt für Walt und möchte seine Familie nicht unnötigerweise zu Grunde richten. Skyler ist sich ihrer Gefahr sehr wohl bewusst. Walt weiß zwar nichts von dem nächtlichen Vorfall, aber sein Instinkt sagt ihm, dass Jacks Leute verschwinden müssen, bevor sich seine Familie in endgültiger Sicherheit befindet. Er könnte sie ganz einfach ausliefern, wenn er die Position der Leichen am To’hajiilee verraten würde. Doch offenbar hegt er andere Pläne.

Kampf gegen das Vergessenwerden

Den Anblick des randvollen Geldfasses kann er jedenfalls nicht länger ertragen. Per Post möchte er wenigstens einen kleinen Teil davon an Junior weitergeben, so viel, wie er in einem Karton Ensure unterbringen kann. Walt hat anscheinend wenig Hoffnung, noch weitere Pakete schicken zu können. Hunderttausend Dollar und ein gebrochenes Leben sind womöglich alles, was er seinem Sohn hinterlassen wird. »I wanted to give you so much more.« Aber Junior, der sich wieder Flynn nennt, akzeptiert keinen Cent von dem Mann, der die Schuld am Tod seines Onkels trägt. »Why don’t you just die already?« Das sagte er schon einmal zu Beginn der Serie, als Walt aus Kostengründen von einer Krebsbehandlung absehen wollte. Damals war es leichtfertiger Ausdruck seiner Wut. Nun meint er es bitterernst.

Walts Entschluss steht fest. Für ihn gibt es nichts mehr zu tun außer sich zu stellen und Skyler aus ihrer Misere zu befreien. Er genießt seinen letzten Scotch in Freiheit, als er im Fernsehen unerwartet auf das Bild von Gretchen und Elliott blickt. Achtundzwanzig Millionen Dollar sind der Preis, mit dem sie ihr heiles Firmenimage zurückkaufen wollen. Vor laufender Kamera distanzieren sich die beiden mit allem Nachdruck von ihrem ehemaligen Partner. Seine Beteiligung an Gray Matter ist vielleicht die stolzeste Leistung in Walts Leben. Nun wird er von Gretchen, zu der er einmal eine sehr enge Beziehung hatte, in aller Öffentlichkeit für tot erklärt. Mit ihrer Aussage hat sie ihn offenbar tief in seiner Ehre verletzt. Planänderung in letzter Minute. Die Welt soll erfahren, dass sie den Namen Heisenberg noch nicht vergessen darf.

Florian Lehmuth
7. Oktober 2013
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