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Breaking Bad S05E14: Ozymandias

Breaking Bad S05E14 Skyler

© AMC

Scarface aus dem Jahr 1983 ist ein bekannter Film mit Al Pacino und eine fast dreistündige Tortur. Erzählt wird die Geschichte des kubanischen Kriminellen Tony Montana, der in die USA emigriert und dort mit Drogenhandel zu schnellem Geld kommt. Von Anfang an gleicht Tonys Aufstieg einem schlechten Trip; bunte Bilder des unbeschwerten Strandlebens in Miami wechseln sich ab mit brutalen Gewaltszenen. Mit seiner kompromisslosen, düsteren Art wurde das Werk schnell zu einem Klassiker des Gangsterfilms und Tony Montana zum Archetyp des Antihelden. Vince Gilligan beschrieb die Evolution Walter Whites oft als eine Verwandlung von Mr. Chips zu Scarface. Die wahre Bedeutung dieses Ausspruchs zeigt sich aber erst, als die Gewehrsalven am To’hajiilee verebbt sind.

Wer das Ende von Scarface selbst erleben möchte, sollte zum übernächsten Absatz springen. Tony Montana entwickelt sich zum Verbrecherkönig Miamis, doch er bricht mit seinem ehemaligen Geschäftspartner Sosa. Noch dazu erschießt er seinen Freund Manny, als er herausfindet, dass dieser eine Beziehung mit seiner Schwester Gina führt. Sosa lässt schließlich Tonys Anwesen stürmen und seine Männer erschießen Tonys geliebte Schwester vor dessen Augen. Blind vor Rache metztelt der Antiheld einige seiner Angreifer nieder, fällt am Ende jedoch selbst dem Hinterhalt zum Opfer. In Hazard Pay sieht Walt sich diese Szene mit seinem Sohn an und kommentiert: »Everyone dies in this movie, don’t they?«

Walter Montana

Für Walt verwandelt sich der Film plötzlich in bittere Realität. Hank ist seine Gina, ohne ihn ist alles verloren. Kein Geld der Welt kann den Verlust des Angehörigen ausgleichen. Wenn die Familie davon erfährt, hat Walt keine Möglichkeit mehr, die Gefährlichkeit seiner Unternehmungen herunterzuspielen. Hanks Tod ändert alles. Und er ist ein Vorbote für das nahende Ende Walters: Aufgestachelt von der Hinrichtung seines Schwagers wird er nicht ruhen, bis er seine Rache an Jacks Leuten geübt hat. Jesse verkörpert Manny; er hat hinter dem Rücken seines ehemaligen Partners ein Bündnis mit dessen Verwandten geschlossen. Nach der Logik von Scarface wird Jesse sterben müssen, aber nicht durch die Hand von Uncle Jack, sondern durch Walt selbst.

Für einen Moment dürfen wir der finsteren Gegenwart entfliehen, als uns das Cold Open in die Zeit des Wohnmobils und Walts grüner Schürze zurückversetzt. »I remember this place. It’s the very first place we cooked,« stellte Jesse letzte Woche beim Aufeinandertreffen in der Wüste fest. Walts Telefonat mit Skyler führt zwei Gegenstände ein, die später als Chekhov’s gun fungieren. Der Messerblock ruht noch unangetastet auf der Anrichte der Whites, doch das altmodische Telefon ist in regem Einsatz. Auch die Erwähnung Hollys wird später noch eine Rolle spielen. Mit dem verkrampften, aber unschuldigen Verhalten der Anfangszeit zeigen die Schauspieler im Vorspann ganz wunderbar, wie sehr sich ihre Charaktere in den letzten Staffeln verändert haben.

Die schönen Erinnerungen finden ein jähes Ende, als Walts feststellt, dass er seinen Schwager nicht mehr retten kann. Die Preisgabe seines Geldvorrats ist ihm scheinbar gleichgültig, stattdessen konzentriert er seinen ganzen Hass auf Jesse. In seiner Position der absoluten Ohnmacht ist Jesses Exekution Walts einziges Mittel, um den Bezug zur Wirklichkeit wiederherzustellen und seine Schuldgefühle zu ertragen. So gesteht er Jesse seinen Anteil am Tod Janes nicht nur, um ihn ein weiteres Mal zu verletzen, sondern auch, um sein schlechtes Gewissen ein Stück weit zu entlasten. Doch Todd verhindert die Hinrichtung in letzter Sekunde. Jesse kann die Reinheit seines Meths steigern und taugt zu einem besseren Arbeitssklaven als der gebrechliche Walt, dem er ohnehin moralisch verpflichtet ist.

Familie gibt es nicht mehr

Als die Whites von den Vorfällen am To’hajiilee erfahren, findet die Grausamkeit der Eröffnungsszene noch eine Steigerung. Zunächst triumphiert Marie, als sie vom Erfolg ihres Mannes hört. Die vermeintliche Festnahme Walts gibt ihr endlich die Möglichkeit, selbst wieder aktiv zu werden. Mit gönnerhafter Miene begibt sie sich zur Autowaschanlage, um Skyler ihre Vergebung anzubieten. Hank möchte sie später sagen können, dass sie alle Kopien von Walts Drohvideo aus der Welt geschafft hat. Junior soll endlich die Wahrheit über seine Eltern erfahren. Der Schritt erweist sich als unüberlegt, weil Junior feststellt, dass die Geschichte seiner Mutter entweder nicht stimmt oder seine Eltern ihn über ein Jahr lang belogen haben. Als einziger noch integrer Akteur bleibt ihm nur, sich ganz von seiner Familie abzugrenzen.

Walt fürchtet zu Recht, dass seine Familie in Albuquerque nicht mehr sicher ist. Für Erklärungen hat er diesmal keine Zeit mehr; es gilt, so schnell wie möglich zu verschwinden. Doch Skyler und Junior sind nicht mehr bereit, dem Tyrann weiter Folge zu leisten. Skyler schlussfolgert schnell, dass Hank etwas zugestoßen sein muss, damit Walt wieder auf freien Fuß kommen konnte. Sie möchte von ihrem Sohn nicht länger als stumme Teilhaberin wahrgenommen werden und findet erstmalig den Mut, sich physisch gegen ihren Mann zur Wehr zu setzen. Doch Walt möchte nicht tatenlos dabei zusehen, wie die Familie vor seinen Augen auseinanderbricht. Er hat mit Hank bereits einen Angehörigen am gleichen Tag verloren.

Das Küchenmesser kommt zum Einsatz. Das ist die Familie, der Walt mit seiner Verbrecherkarriere zu grenzenlosem Glück verhelfen wollte: Schreiende Menschen, die sich mit einem blutigen Messer auf dem Boden wälzen. Das Telefon wird benutzt. Für Skyler hat das Davonlaufen ein Ende. Ihre Entscheidung, nicht mehr mit ihrem Mann zu kooperieren, führt unfreiwillig dazu, dass sie sich nun für ihre Mittäterschaft wird rechtfertigen müssen. Walt dagegen entkommt mit Holly. Sie ist sein letzter verzweifelter Versuch, die verbliebene Unschuld in seiner Familie zu bewahren. Möglicherweise sieht er auch voraus, dass Skyler nach einem Gerichtsverfahren keine Möglichkeit mehr haben wird, ihre Tochter selbst großzuziehen. Sein Egoismus steht aber wieder einmal im Vordergrund.

Was für ein Leben

So wirkt es auch, als Walt zum zweiten Mal in dieser Folge mit Skyler telefoniert. Verschwunden ist jeder Anflug von gegenseitiger Sympathie. Walt lässt der angestauten Wut von über einem Jahr freien Lauf. Wie unzählige Male zuvor gibt er den selbstlosen Ernährer, der alles zum Wohle seiner Familie tut. Doch als er Skyler persönlich mit Rache droht und auf das Schicksal Hanks zu sprechen kommt, kann er die Tränen nicht mehr zurückhalten. Walt stellt endlich fest, dass er selbst die Schuld am Zusammenbruch seiner Familie trägt. Als er erkennt, dass Holly zu ihrer Mutter möchte, gibt er sie frei. Und da er sicher sein kann, dass sein Anruf von der Polizei mitgehört wird, fungieren seine leeren Drohungen als Geständnis, das Skyler weitgehend entlasten könnte.

Jesses Schicksal ist noch nicht besiegelt. Er hat die Existenz von Hanks Aufnahmen zugegeben, aber festgehalten wird er aus einem anderen Grund. Todd ist eitel und die elf Millionen Dollar, an die er durch Walt gelangt ist, genügen ihm nicht. Er möchte Lydia mit der Qualität seiner Droge beeindrucken. Jesses Erfahrung mit Walts Rezeptur rettet ihm das Leben, aber was ist das für ein Leben, wenn er wie ein Tier in einem Käfig gehalten wird und bei jedem seiner Schritte ein Stahlseil nachziehen muss? Seine Hoffnung ist noch nicht verloren, falls man dem Bild glauben darf, das Jacks Leute von Andrea und Brock gemacht haben. Entstanden ist es vermutlich bei der Planung des Hinterhalts, nun hat es für die Nazis keine Bedeutung mehr. Für Jesse hingegen bedeutet es alles. Andrea und Brock sind seine Zukunft.

Florian Lehmuth
5. Oktober 2013
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