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Breaking Bad S05E13: To’hajiilee

Breaking Bad S05E13 Walt

© AMC

»Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.« Franz Kafka zeichnet in seiner Verwandlung das Bild der absoluten Hilflosigkeit. Gregor Samsa, eigentlich Handelsvertreter, wird von einem Tag auf den anderen zum Käfer. Auf dem Rücken liegend stellt er fest, dass er verschlafen hat und daher seine arbeitnehmerischen Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllen kann. Unfähig, sich aufzurichten, muss er mit anhören, wie ihm ein Gesandter seines Unternehmens von der anderen Seite der Zimmertür mit Konsequenzen für seine Nachlässigkeit droht. Gregor hat seinen menschlichen Verstand behalten, kann sich mit den Organen seines tierischen Körpers aber nicht mehr verständlich machen.

Die Türen seines Zimmers hat Gregor dummerweise am Vorabend abgeschlossen, sodass seine Familie nicht zu ihm vordringen kann. Schlussendlich gelingt es dem Käfer, sich aus dem Bett zu schaukeln und an der Wand aufzurichten. Mit seinen Kiefern schließt er die Tür auf und präsentiert sich der Außenwelt. Das Entsetzen ist groß; schließlich treibt der Vater das Insekt zurück in sein Zimmer. Gregor, der anfangs annahm, die Verwandlung sei von begrenzter Dauer, verkommt in den folgenden Monaten immer mehr zum Tier. Er erinnert sich daran, wie er der ärmlichen Familie als Alleinverdiener zu unerhofften Wohlstand verholfen hat. Gleichzeitig muss er mit anhören, wie sie ohne seine Unterstützung in eine zunehmend angespannte finanzielle Lage gerät.

Wie ein Käfer auf dem Rücken

Walter White ist Gregor Samsa. Im bisherigen Höhepunkt der fünften Staffel sitzt er gefesselt in Hanks SUV und kann nicht verhindern, dass sich vor seinen Augen ein Unglück abspielt. Sein Geld ist verloren; er wird seiner Familie nicht einen einzigen Cent hinterlassen können. Monatelange Arbeit unter hohem Risiko war umsonst. Doch viel schlimmer: Ohne es zu wollen, befindet sich Hank seinetwegen in Lebensgefahr. Wenige Meter von ihm entfernt stehen sich die Konfliktparteien gegenüber, die Gewehre im Anschlag. Und Walt kann weder seine Arme bewegen noch sich stimmlich Gehör verschaffen. Die Ausweglosigkeit der Szene im Crawl Space verblasst angesichts dieser Situation. »Jack! It’s off!« Elf Mal. Dann fliegen die Kugeln.

Uncle Jack bricht Heisenbergs Unantastbarkeit. Nach dem Ausstieg Mikes und Jesses schaffte es Walt, Declan mit bloßer Einschüchterung zu seinem neuen Handlanger zu machen. Doch als er sich selbst in den Ruhestand begab, verlor er das Geschäft aus den Augen. Todd informierte ihn über den Wechsel der Führungsriege, aber Walt versäumte es, die richtigen Rückschlüsse zu ziehen. Der Reinheitsgrad des Meths liegt auch mit dem neuen Koch weit unter dem Niveau, das Walt erreichte. Noch dazu ist die blaue Farbe verschwunden, die schnell zum Markenzeichen des Qualitätsprodukts wurde. In Say My Name brüstete sich Walt noch damit, dass es in ganz Amerika nur einen, vielleicht zwei Chemiker seiner Klasse gebe. Nun wird ihm genau dieser Umstand zum Verhängnis.

Walt schließt ein gefährliches Abkommen mit Jack. Er zeigte sich schon einmal bereit, gegen seine ursprüngliche Absicht ins Drogengeschäft zurückzukehren. Gus zahlte ihm damals einen astronomischen Preis, damit sein riesiges Labor endlich Verwendung finden konnte. Nun fordert Walt für eine Einweisung in seine Formel eine deutlich geringere Gegenleistung: Jesse Pinkman soll sterben. Aus der Sicht von Jack und seinen Männern ist der Auftrag absurd einfach; das Opfer befindet sich nicht hinter Gittern und wird voraussichtlich keinen Widerstand leisten. Walt bringt es trotzdem nicht fertig, selbst einen Finger gegen seinen ehemaligen Partner zu krümmen. »Jesse is like family to me.« Die Jagd auf Familienmitglieder ist offiziell eröffnet.

Überlebenschancen ungewiss

Für Hank gibt es wenig Hoffnung. Das Gespräch mit Marie klingt wie ein Abschiedsgruß: Nicht nur der eines Mannes an seine geliebte Frau, sondern auch ein Gruß der Produzenten an alle Zuschauer, die Dean Norris’ überragende schauspielerische Leistung liebgewonnen haben. Jack hat keinen Grund, den DEA-Agenten am Leben zu lassen. Es darf keine Zeugen des Gemetzels geben. Ohnehin ist er nur an Walt interessiert. Jack hat allerdings nicht vor, friedlich mit ihm umzugehen. Die Schreie des im Auto tobenden Mannes ignoriert er. Wenn die Nazis die Schießerei gewinnen, wird Walt ebensowenig frei sein wie zuvor. Noch dazu ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Jack mithilfe der Koordinaten auf das Geldversteck stoßen wird.

Jesses Schicksal ist ungewiss. Er hat den großen Heisenberg zu Fall gebracht, indem er dessen Denkweise imitierte. Beim Gedanken an die Zerstörung seines Vermächtnisses setzt Walts logisches Denkvermögen aus. Am Telefon ist er überraschend ehrlich, zeigt aber keine Reue für den bisherigen Tiefpunkt seiner kriminellen Karriere. Als er schließlich erkennt, dass es keinen Ausweg mehr für ihn gibt, rinnt ihm eine Träne über die Wange. Jesse beobachtet mit leuchtenden Augen, wie sein ehemaliger Partner in Handschellen gelegt wird. Der Anflug eines Lächelns umspielt seinen Mund. Walt wendet sich zu ihm und stößt ein verbissenes »Coward!« aus. Mehr fällt ihm zu Jesse nicht ein. Dass er ihn noch vor Minuten hinterhältig ermorden lassen wollte, scheint er vergessen zu haben.

Unterdessen nimmt das Leben in Albuquerque seinen gewohnten Lauf. Junior verbringt seinen ersten Arbeitstag an der Kasse der Autowaschanlage. Vielleicht möchte Skyler ihn von dem Gedanken ablenken, dass Walt wieder an Krebs erkrankt ist. Junior hat noch nicht sehr lange zu seinem neuen, draufgängerischen Vater gefunden. Doch wahrscheinlich steckt mehr hinter dem Schritt, den Sprössling an das Familienunternehmen heranzuführen. Walt und Skyler können ihre Geheimnisse nicht mehr für sich behalten und suchen deshalb nach einem Weg, ihrem Sohn schonend die Wahrheit beizubringen. Junior übt noch den Firmenslogan, als auch schon Saul hereinplatzt, das Gesicht vom Gefecht gezeichnet, und sich um eine möglichst sorgenfreie Miene bemüht.

Dem Kugelhagel entkommen

»I guess you’d call it an occupational hazard,« sagt er über den Vorfall, der ihn ohne Weiteres das Leben hätte kosten können. Dass er bislang immer unbeschadet davongekommen ist, hat er vermutlich nur seinem fehlenden Rückgrat zu verdanken. Nun wird sein Oberkörper von einer kugelsicheren Weste in Form gehalten. Saul hat den richtigen Zeitpunkt längst verpasst, um sich von seinem gefährlichsten Klienten zu trennen. In Konfliktsituationen entscheidet er sich regelmäßig für die falsche Seite, doch Walt profitiert von ihm als letzter Stimme der Vernunft. Nun merkt Saul, dass die Luft langsam dünn wird. Das Beispiel Huels zeigt ihm, dass auch er verschwinden sollte, solange er sich noch freiwillig dafür entscheiden kann.

Mit Andrea und Brock sehen wir zwei alte Bekannte wieder. Walt schreckt nicht davor zurück, die Familie ein zweites Mal zu instrumentalisieren, um an Jesse zu gelangen. Scheinheilig fragt er Brock nach seinem Befinden und sieht im dabei ruhig in die Augen. »I’m good.« Gegenüber Andrea gibt Walt vor, dass er sich um den Zustand seines Freundes sorge und mit dem Schlimmsten rechne. Die Unsicherheit über das Schicksal Jesses ist ein direkter Verweis auf das Ende der Folge, als Jesse verzweifelt versucht, dem Kugelhagel zu entkommen. Eine Zukunft mit Andrea und Brock wäre möglicherweise seine beste Option, um die Gräuel der Vergangenheit zu vergessen. Zunächst müssen wir erfahren, welchen Ausgang die Schießerei am To’hajiilee nehmen wird.

Florian Lehmuth
4. Oktober 2013
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