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Limitless: Drogenkonsum der Zukunft

Limitless hat für mich definitiv das Zeug zu einem kleinen persönlichen Klassiker, auch wenn das Werk sicher keinen besonderen Platz in der Filmgeschichte einnehmen wird. Bradley Cooper in der Hauptrolle wurde eher als Blickfang denn als Charakterdarsteller engangiert, aber trotzdem ist es schwer, seiner militanten Coolness auf Dauer wehrhaft zu bleiben. Robert De Niro mag in erster Linie wegen seines Namens gecastet worden sein und dennoch kenne ich kaum jemanden, der so stilvoll gealtert ist. Ich mag die 90er-Jahre-Ästhetik der Fisheye- und Zoomaufnahmen und den Einsatz der Farben Gelb und Blau als Indikatoren für Erfolg und Scheitern. Richtig interessant wird der Film aber erst dadurch, dass er dem Thema Drogenverherrlichung eine ganz neue Perspektive bietet.

Eddie ist ein angehender Schriftsteller, der unter einer chronischen Schreibblockade leidet. Durch Zufall gerät er an den Bruder seiner ehemaligen College-Freundin und bekommt die Probe einer neuartigen Substanz, die alle Areale des Gehirns gleichzeitig aktiviert und so zu einer enormen Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit führen soll. Ungeachtet der möglichen Nebenwirkungen gibt Eddie der Droge einen Versuch und ist begeistert, wie klar die Welt vor seinen Augen auf einmal wird. »I was blind, but now I see.« Sein Leben ändert sich von Grund auf zum Besseren. Das Buch ist in vier Tagen vollendet, die Frau seines Herzens zurückgewonnen und im Finanzmarkt eine lukrative neue Einkommensquelle gefunden.

Auf der Leinwand wird der exzessive Konsum von Narkotika mittlerweile so regelmäßig praktiziert, dass er seine Außergewöhnlichkeit schon lange eingebüßt hat. Es dominiert dabei die immergleiche Darstellung, in der das Risiko der Betäubungsmittel zwar stets im Hinterkopf schwebt, aber auf die selbe Ebene mit gesellschaftlich schon lange akzeptierten Genussmitteln wie Alkohol und Nikotin gestellt wird. Der permanente Rausch ist das Carpe diem des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Die Devise gilt, immer mithalten zu können, ohne jedoch Beeinträchtigung oder Abhängigkeit zu zeigen. Das ist selbstzerstörerisch, aber nicht zerstörerischer als das Leben selbst. Damit passen die Drogen wunderbar ins Bild, um die Dogmen eines durch und durch kapitalistischen Weltbildes zu unterstreichen.

Der Genuss dieser Luxusgüter ist dabei denen vorbehalten, die auf der Karriereleiter sowieso schon ganz oben angekommen sind und über das nötige Kleingeld verfügen. Der Selfmademan, der sein Vermögen durch gewagtes Zocken an der Wall Street verdient hat, ist auf der Suche nach dem letzten Bisschen Risiko. Wer hart arbeitet, muss auch hart feiern dürfen. Der Drogenkonsum eignet sich perfekt dazu, sein onehin vollkommenes Leben um ein paar zusätzliche Ebenen anzureichern. Nicht durch Zufall stehen deshalb meist Stimulantia im Blickfeld. Der Geist muss klar bleiben, denn die Anforderungen sind hoch: Länger, weiter, höher, schneller. Die Line Koks zwischendurch ist nur die konsequente Fortentwicklung der allmorgendichen Vitamintablette.

Der Aspekt des Eskapismus wird außen vor gelassen. Wer vor der Welt flüchtet, hat keinen Platz in ihr verdient. Ja keine Schwäche zeigen ist das Motto, denn wer strauchelt und fällt wird gnadenlos zurückgelassen. Für Mitgefühl ist schließlich kein Platz in dieser grausamen Welt. Das Leben von Schuss zu Schuss ist verschwendetes Humankapital. Junkies senken das BIP pro Kopf. Psychedelika sind für diejenigen bestimmt, die schon lange abgehängt wurden. Doch Hippies blicken irgendwann einmal auf ihr Leben zurück und fragen sich: An wie vielen Tagen war ich glücklich? Der durchschnittliche Vertreter der modernen Leistungsgesellschaft darf sich diese Frage erst stellen, wenn er sein eigenes Haus gebaut und die Familie für die Ewigkeit versorgt hat.

Mit Eddie ist es anders. NZT ist eine Droge für diejenigen, die bereits am Boden liegen, aber trotzdem noch nicht aufgeben wollen. Für diejenigen, die an die bestehende Weltordnung glauben und mit kapitalistischen Maßstäben nach iher Leistung bemessen werden möchten. Alles, was ihnen fehlt, um mithalten zu können, ist ein kleiner Anschub. In einer Welt, in der Transhumanismus und Eugenik inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, spricht nichts dagegen, dafür auf ein kleines Mittelchen zurückzugreifen. Eddie berauscht sich nicht um des Rausches willen. Er kommt gar nicht auf die Idee, seine neu gewonnene Intelligenz zu genießen, sondern sucht nach einem Weg, sie gewinnbringend zu vermarkten.

Bemerkenswert sind die Entzugserscheinungen von NZT: Sobald man die Zufuhr abbricht, bringt der Körper die Spuren seiner Überbeanspruchung ans Licht. »Nobody can operate at that level of mental activity and not crash.« Der ehemalige Konsument wird schwer krank. Wenn eine Kerze heller brennt, brennt sie dafür umso kürzer. Doch die psychischen Schäden sind noch weitaus schlimmer. Wer kann es schon verkraften, in einem Moment König der Welt zu sein und im nächsten ein größerer Verlierer als jemals zuvor? Vielleicht ist es viel schlimmer, die Gabe gehabt und verloren zu haben, als sie überhaupt niemals zu besitzen. Es darf immer nur aufwärts gehen, den Blick starr nach vorn gerichtet. Die Droge eliminiert das gesunde Mittelmaß. Es gibt nur noch alles oder nichts.

Die Idee, dass eine einfache Pille ein Leben von grundauf zum Positiven verändern kann, bedient eine uralte Sehnsucht in uns. Tagtäglich werden wir medial mit Erfolgsgeschichten bestrahlt, bekommen Einblicke in den Alltag von Menschen, bei denen scheinbar alles perfekt läuft. In diesen Botschaften schwingt immer auch mit: Du kannst das auch. Wenn dein Potential nur geweckt wird. Eine Pille am Tag und die Pflichten des Alltags erledigen sich von selbst. Eine Pille am Tag und man bekommt das Leben, das man sich schon immer gewünscht hat. Mit nur einer Pille wächst man über sich hinaus. Eigentlich ist diese Idee also überaus motivierend. In uns allen ist die Fähigkeit zum nächsten Präsidenten bereits angelegt. Sie muss nur geweckt werden.

Aber ist dieser Gedanke umgekehrt betrachtet nicht auch völlig vernichtend? Nicht mit Fleiß und Mühe lässt sich dieses Potential schöpfen, sondern nur durch einen Botenstoff, der die Synapsen neu konfiguriert. Wir sind so geschaffen, dass der Großteil unserer geistigen Ressourcen standardmäßig verschwendet wird und nur durch geschickte Chemie geweckt werden kann. NZT erreicht, was Jahrtausende der Evolution nicht geschafft haben. Ob ein Mensch jemals zu seiner vollen Größe wächst, ist eine reine Frage des Glücks. Auch Eddies Freunde an der Börse sind von seinem plötzlichen Erfolgskurs nicht begeistert: Ein paar Tabletten täglich ersetzen Jahre der harten Arbeit. Wo bleibt die Gerechtigkeit? Die kapitalistische Mär von Anstrengung und Schweiß entlarvt sich selbst.

Florian Lehmuth
22. Oktober 2012
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