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Lernt Programmieren!

Lego Programmer

CC-BY-NC: Amy

Es ist eine unscheinbare Meldung, aber sie dürfte eine Trendwende markieren: 2012 wurde erstmals seit über zwei Dekaden weniger als die Hälfte des weltweit ausgelieferten DRAMs in PCs verbaut. Damit mag die Ära des Desktop-Rechners noch lange nicht zu Ende sein, aber es ist klar, dass sein Stellenwert langsam abnimmt. Grund für die Gewichtsverschiebung ist der Aufstieg von Smartphones und Tablets, die in zunehmendem Maße die Art und Weise definieren, wie Menschen auf das Internet zugreifen, unterhalten werden und Aufgaben erledigen. Mobile Geräte und die dazu passenden Betriebssysteme bilden ein Rundumpaket, das in seinem Komfort bislang unerreicht ist. Erst dadurch wird es möglich, Milieus zu erreichen, denen die digitale Welt bislang verschlossen blieb.

Doch je mehr Menschen mit Endgeräten und Internetzugängen versorgt werden, desto tiefer sinkt die durchschnittliche Kompetenz, damit auch umgehen zu können. Die Elite derer, die Software produzieren, wird immer kleiner im Vergleich zu denen, die sie nur benutzen. Wir dürfen unsere Mündigkeit nicht vor dem Bildschirm aufgeben, nur weil es bequem ist, sich keine Gedanken über die Funktionsweise unserer Applikationen zu machen, so lange sie reibungslos laufen. Programmieren zu lernen ist der einzige Ausweg. Und was läge näher, als auf demselben Gerät in eine Programmiersprache eingeführt zu werden, auf dem sie auch ausgeführt werden soll, also dem Rechner? Die Idee besticht, doch erstaunlicherweise gibt es interaktive Coding-Kurse noch gar nicht lange.

Codecademy ist der älteste Online-Dienst, der sich die interaktive Vermittlung von webbasierten Skriptsprachen zur Aufgabe gemacht hat. Um zu beginnen, muss man sich noch nicht einmal anmelden. Es reicht aus, den eigenen Namen in die Konsole einzutippen und den Anweisungen zu folgen, die Schritt für Schritt in die Grundlagen von JavaScript einführen. Daneben stehen auch noch Kurse in Ruby, Python, der jQuery-Bibliothek sowie HTML und CSS zur Verfügung. Weil Programmieren zu lernen bei vielen ein Neujahrsvorsatz sein dürfte, haben die Macher zudem das Code Year ins Leben gerufen: Woche für Woche erhalten die Teilnehmer eine E-Mail mit ihrer neuen Lektion. Alles kostenlos und ohne Vorwissen vorauszusetzen.

»The need for computer literacy has never been greater. This is a fabulous product at the right time,« lobt Verleger Tim O’Reilly. Mittlerweile gibt es noch andere E-Learning-Anbieter, die dieselbe Nische besetzen wollen. LearnStreet bietet ein ähnliches Lehrangebot wie Codecademy und ist ebenfalls gebührenfrei. Code School setzt den Abschluss eines kostenpflichtigen Abonnements voraus, um vollen Zugriff auf die breite Auswahl an Kursen zu bekommen – einzelne Elemente sind jedoch auch gratis verfügbar, wie das empfehlenswerte TryRuby. Zuletzt hat sich Treehouse auf Webdesign und -development spezialisiert und stellt in Videolektionen die App-Entwicklung für Android und iOS vor. Das Angebot versteckt sich allerdings hinter einer massiven Paywall.

Den verschiedenen Diensten ist gemein, dass sie sich in Tempo, Schwierigkeitsgrad und Schwerpunktsetzung ganz auf ihre Schüler einstellen. Den Mittelpunkt des Unterrichts bildet meist eine Konsole oder ein Editor, in der die Anweisungen des Instruktors sofort in die Tat umgesetzt werden können. So stellt man schnell fest, was funktioniert und was nicht, wird gegebenenfalls auf Fehler in der Syntax hingewiesen und kann nach Belieben experimentieren, falls der vorgegebene Pfad zu langweilig wird. Der Lernstoff ist in kleine Häppchen verpackt, damit auch kurze Pausen zur Weiterbildung genutzt werden können. Immer wieder wird der stete Strom an neuem Wissen unterbrochen, um in Zusammenfassungen das bereits Gelernte zu rekapitulieren.

Die Code-Schulen geben sich alle Mühe, ihre Zöglinge ständig bei Laune zu halten. Grundlage dafür bildet der Gamification-Ansatz, nach dem selbst kleine Fortschritte sofort belohnt werden und der Wissenserwerb in unterschiedliche Levels und Herausforderungen gegliedert wird. Fortschrittsbalken zeigen an, wie weit man schon gelangt ist und wie weit der Abschluss noch entfernt liegt. Für jedes erfolgreich absolvierte Level gibt es ein Abzeichen, das fortan das persönliche Profil schmückt. Dort wird auch angezeigt, wie viele Tage am Stück man der Seite treu geblieben ist – denn wer rastet, der rostet. Die Nutzer werden an ihre Erfolg der Vergangenheit erinnert und sind dazu angehalten, sich mit anderen zu messen. Das kommt gut an und steigert nachweislich den Lernerfolg.

Michael Bloomberg, Bürgermeister New York Citys, kündigte Anfang Januar begeistert an: »My New Year’s resolution is to learn to code with Codecademy in 2012! Join me.« Das Startup wird sich über die kostenlose Werbung gefreut haben, doch was aus dem Vorsatz des Bürgermeisters wurde, ist fraglich. Wissen, das nicht in eigene Vorhaben umgesetzt wird, hat nicht nur geringen Nutzen, sondern wird auch schnell wieder vergessen. So ist es zwar löblich, das etwa bei Codecademy die frisch erlernten Fertigkeiten in Projekten wie Schere, Stein, Papier; Schiffe versenken und Blackjack erprobt werden. Die Aufgabe, mag sie noch so interessant sein, ist dennoch immer eine Aufgabe, die von außen oktroyiert wird und nicht der Eigenmotivation entspringt.

Es gibt noch einen weiteren Grund, E-Learning nicht uneingeschränkt positiv zu sehen. Denn anders als in den traditionellen Bildungseinrichtungen erhält man nach wochen- oder monatelangem Engagement keinen wirklichen Nachweis für die geleistete Arbeit. Die Zertifizierung von Online-Unterricht steht noch ganz an ihrem Anfang. Das könnte zum Problem werden für diejenigen, deren Zeit sowieso knapp ist und die sich in ihrer Freizeitgestaltung nach der Verwertbarkeit im Lebenslauf orientieren. Programmieren als Selbstzweck wird zu einem Zwang, dessen Sinn sich dem eigentlich Lernwilligen nicht mehr erschließt. Das Problem liegt darin, zwischen Theorie und Praxis zu trennen, wo es doch eigentlich nur Praxis gibt.

Warum also nicht gleich den Weg beschreiten, der am meisten Spaß bereitet? Sich erst das Ergebnis ausmalen und dann überlegen, wie man es erreichen könnte? Man könnte einen eigenen Webserver einrichten und eine simple Webseite aufsetzen. Mit HTML und CSS experimentieren, bevor anspruchsvollere Aufgaben anstehen: Die Erstellung eines eigenen Templates, in das dynamische Inhalte integriert werden, Experimente mit DOM-Scripting und Datenbanken. Verschiedenste Webservices bieten APIs mit Lese- und Schreibzugriff an, die als Ausgangspunkt für vergnügliche Versuche dienen können. Und wie wäre es mit einer eigenen App für ein mobiles Betriebssystem? Die benötigten Fähigkeiten ergeben sich unterwegs, durch Foren, Wikis und Handbücher.

Am Ende zählt das Ergebnis. Tatsache ist, dass programmieren zu können eine der wichtigsten Kompetenzen der heutigen Zeit darstellt und ihr Erwerb leichter gemacht wird als jemals zuvor. Schulen sind Jahre davon entfernt, bis auch nur der grundlegende Umgang mit informationstechnischen Systemen in Lehrpläne integriert ist. Es liegt also an jedem Einzelnen, die Initiative zu ergreifen und sich selbst anzueignen, was sonst einer Minderheit vorenthalten bleibt. Über quelloffene Programme könnte dann die ganze Welt von der eigenen Qualifikation profitieren. Der globale Handel mit Software, Patenten und Lizenzen ist längst zu einem globalen Kampf um viel Macht und Geld geworden. Nur wer programmieren kann, wird ihn mitentscheiden können.

Florian Lehmuth
21. Oktober 2012
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