Proudly made on earth

Remove fast and break things: The Cleaners

Die Silhouette einer Person zeichnet sich vor einer breiten Glasfront ab, die den nächtlichen Blick auf eine Reihe von Hochhäusern in Manila freigibt.

Er hat einen kleinen Penis, stellt die junge Filipina fest, und schaut dabei auf das Gemälde eines nackten Donald Trumps. Das sei ein Symbol für Schwäche und solle zeigen, dass er nicht für das Amt des Präsidenten geeignet sei. Eine künstlerisch-satirische Darstellung also, ganz klar. Trotzdem drückt sie auf löschen, denn nackte Haut, das geht auf Facebook nun einmal gar nicht. Damit ist das Bild schlagartig aus dem Netz verschwunden.

Die Frau, die dieses Urteil für die Kamera nachstellt, gehörte einem Content Moderation Team an, das als Subunternehmen damit beauftragt ist, soziale Netzwerke wie Facebook, YouTube oder Twitter von unerwünschten Inhalten zu säubern. Diese Müllabfuhr des Internets operiert streng geheim. Niemand weiß genau, wie viele Menschen darin beschäftigt sind, nur, dass es mindestens einige zehntausend sein müssen. Ein beträchtlicher Teil von ihnen stammt von den Philippinen, wo die Löhne niedrig sind und ähnliche Werte herrschen wie in den USA. Nach deren Moralvorstellungen legen die kalifornischen Social-Media-Plattformen wiederum fest, welche Inhalte gepostet werden dürfen und welche nicht.

Der Mikropenis ist ein harmloses Beispiel. In dem, was üblicherweise auf den Bildschirmen der digitalen Putzkolonne angespült wird, spiegelt sich das Grausamste wider, wozu die Menschheit fähig ist: Erniedrigung und Gewalt, Krieg und Kindesmissbrauch. Ein einziges Foto, ein einziger Frame dieser Art kann ausreichen, um jemanden langfristig zu traumatisieren. In Manila sollen Angestellte jeden Tag 25.000 Bilder sichten, pro Person.

The Cleaners ist also eine Dokumentation über die Arbeitsbedingungen, die Tech-Unternehmen durch Outsourcing im Globalen Süden zu verantworten haben. Es ist ein Film darüber, welche Last auf Menschen liegt, die mit ihren Entscheidungen beeinflussen können, ob Leute sterben, Wahlen gewonnen werden oder ein Krieg begonnen. Menschen, die gleichzeitig nicht einmal mit Familienmitgliedern über ihre Arbeit sprechen, nicht nur aus Scham, sondern auch, weil sie Vertragsstrafen zum Schweigen zwingen.

Diese Geschichte ist verstörend wie faszinierend und so ergreifend erzählt, dass man sich wünscht, all dieser Horror mündete in einen großen Showdown, in dem unsere Protagonist*innen die Welt wieder geraderücken könnten. Stattdessen müssen wir uns ansehen, wie Kinder auf der Flucht im Mittelmeer ertrinken, in Syrien Kriegsverbrechen begangen werden und an den Rohingya ein Genozid verübt. Sicher soll damit schockiert werden, aber in einem sorgfältig abgewogenen Maße; nicht nur um zu zeigen, wie die Arbeit der Plattform-Polizei konkret aussieht, sondern auch, welche Bedeutung sie hat.

An dieser Stelle versucht der Film, die Ebene der Einzelschicksale zu verlassen und eine weltweite Medienlandschaft abzubilden, die durch die Mechanismen der sozialen Netzwerke gesteuert wird und von der Grundstimmung des Aufschreis gekennzeichnet ist. Damit trifft er einen aktuell hochempfindlichen Punkt im Nervensystem der globalisierten Gesellschaft, versucht aber mitunter, mehr zu erklären, als mit dem Grundansatz des Löschens oder Nicht-Löschens möglich ist.

Das große Verdienst von The Cleaners ist hingegen, dass die Macher Hans Block und Moritz Riesewieck nach einem Jahr Recherche auf den Philippinen einzigartige Einblicke in eine Welt bekommen haben, die es nach den Plänen des Silicon Valleys gar nicht geben dürfte. Menschliche Entscheidungen sollten nach dessen Logik schnellstmöglich algorithmisiert werden, um sich von jeglicher Verantwortung über Inhalte freisprechen zu können. Bis dahin fristen die philippinischen Entscheidungsträger*innen ein elendiges Dasein im Anbau des Maschinenraums. Diejenigen, die den besten Überblick darüber haben, was im Menschheitsbewusstsein vor sich geht, sehen nur Schreckliches.

Während der Vorführung auf der re:publica dachte ich darüber nach, ob ein automatisiertes Filtersystem einer manuellen Überprüfung vorzuziehen wäre, wenn für den Preis einiger ungerechtfertigt gelöschter Videos tausende Menschen vor traumatischen Erlebnissen geschützt werden könnten. Dann fiel mir auf, dass die Frage falsch ist. Dass ich nicht fragen sollte, wie genau eine Plattform mit ihren Inhalten umgeht, sondern warum sie überhaupt so mächtig ist.

In Redaktionen aller Länder wird jeden Tag darüber diskutiert, welche Informationen veröffentlicht, welcher Tonfall gewählt, welche Bilder gezeigt werden sollen. Diese Entscheidungen können nicht ausgelagert werden, ohne auch andere grundlegende Freiheiten aufzugeben. Die Frage muss sein, wie wir ein dezentrales Internet schaffen können, in dem Freiheit und Verantwortung bestmöglich verteilt sind.

The Cleaners wird am 17. Mai in ausgewählte besonders gute Kinos kommen.
Florian Lehmuth
4. Mai 2018
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