Proudly made on earth

Eine unerhört gute Zurschaustellung guter neuer Musik: Videowaltz #4

Im Musikvideo zu 'Heart Attack' von Tune-Yards hat sich eine Person mit Papiertüte über dem Kopf auf die Regalbretter in einer Bibliothek gestellt und lässt erschrocken ein Buch zu Boden fallen.

Ich kann natürlich nicht ausschließen, dass es nur mir so geht; dass es an einem Konstruktionsfehler meiner sozialmedialen Weltbeobachtungsmaschine liegt. Jedenfalls wirkt es so, als würde der Gesprächston um mich herum immer ernster, um nicht zu sagen desillusioniert. Bisweilen bilde ich mir ein, eine schleichende Verbitterung regelrecht schmecken zu können. Ich rede natürlich von Trump Twitter dem Faschismus.

Wie weit entfernt da plötzlich die zweite Hälfte der Nullerjahre scheint, als die Internetanschlüsse endlich schnell genug waren, um Videos in Echtzeit zu übertragen, und die empfehlenden Blogs noch so bunt, dass die meisten davon auch sehenswert waren. Was ist passiert, dass mir die Erinnerung daran wie die naive Rückschau auf ein vergangenes Jahrhundert vorkommt?

In finstren Zeiten wie diesen kann uns ein kleiner Ausflug in die wilde Welt der melodieorientierten Bewegtbildkunst nur guttun. Nicht, um vor einer selbstverschuldeten Realität davonzulaufen, sondern um zu zeigen, was sein könnte: eine grüne Wiese mit ausreichend Platz für alle, auf der jederzeit guten Gewissens getanzt werden darf. Als ersten Schritt habe ich den Titel dieser Rubrik entmilitarisiert. Eins, zwo, drei, los geht’s!

Tune-Yards – Heart Attack

Gleich zu Beginn des Jahres lieferte Merrill Garbus ein Album, das mit gewohnter Schrulligkeit und neuen Disco-Anspielungen seinen Platz in meiner Favoritenliste schon gesichert hat. Nach ein paar Monaten habe ich manche Melodien noch immer im Ohr, was auch an einem überwältigenden Auftritt im Festsaal Kreuzberg liegen dürfte. Kombiniert mit tollen Tänzer*innen und reizenden Pastelltönen eine doppelplusgute Empfehlung.

Hinds – The Club

Sonne, Strand und Surfbrett klingen aus diesem Song, auch wenn es im Video anders aussehen mag. Hinds schaffen es nicht unbedingt, mich auf Albumlänge zu fesseln, dafür ist ihre Vorgehensweise schlicht zu vorhersehbar. Nach diesen stürmischen drei Minuten habe ich dank Lo-Fi-Sound und mehrstimmigem Gesang dagegen ein breites Grinsen im Gesicht. Hervorgespült aus den Tiefen des All-Bewusstseins namens René.

Courtney Barnett – Need A Little Time

Courtney Barnett hat gerade erst für ein Album mit Kurt Vile kollaboriert, auf dem die beiden eine gemeinsame Vorliebe für unmittelbares, schnörkelloses Geschichtenerzählen mit sanfter Gitarrenbegleitung demonstrieren. Nun steht ihr nächster Solo-Langspieler kurz vor der Veröffentlichung und wenn es nach den beiden Titeln geht, die sie uns als Vorgeschmack präsentiert, tippe ich auf eine Rückkehr zu der Größe und Schwere, die schon ihr Debüt so hörenswert gemacht haben.

The Kills – List Of Demands (Reparations)

Alison Mosshart ist zurück und damit auch eine der bebendsten Bluesrock-Stimmen. Beim vorliegenden Lied handelt es sich allerdings um ein Cover von Saul Williams, dessen Original erst zehn Jahre alt ist und in seiner rohen Kraft nicht zu überbieten. Dass ich trotzdem die Coverversion einbette, liegt zum einen an diesem Format, das nun einmal neue Musik vorstellen soll; zum anderen halte ich das obige Video für sehr gelungen.

Launder feat. Soko – Keep You Close

Ein Takt genügt, schon ist klar, dass diese Band gehörige Anleihen bei den fabelhaften DIIV macht. Kein Wunder, stellt sich doch heraus, dass besagte Formation nicht nur als Inspirationsquelle dient, sondern dass mit Zachary Cole Smith deren Mastermind persönlich bei Launder an den Saiten zupft. Die anderen Beteiligten sind die Singer-Songwriter John Cudlip und Soko, sonst beide eher im Alleingang unterwegs. Letztere macht das Stück mit ihrem apathisch dahingehauchten Gesang perfekt. Wie es bei den besten Entdeckungen so oft der Fall ist, stammt auch diese von Nico.

Wye Oak – The Louder I Call, The Faster It Runs

Zuerst fand ich das neue Album von Wye Oak zu schrill, stellenweise geradezu befremdlich. Eine hilfreiche Reaktion, wie sich herausstellt, denn anscheinend musste mein Ohr erst ein Stück aus der Bahn geworfen werden, um richtig in diese Fata Morgana eintauchen zu können. Nach einer Handvoll Durchläufen bin ich äußerst angetan von der poppigen Schrägheit und noch mehr von der Qualität des Songwritings.

Kraków Loves Adana – The Day The Internet Died

Es ist die sonore Stimme von Deniz Çiçek in Verbindung mit den ebenso wuchtigen Bässen, die schnell einen unwiderstehlichen Sog entwickelt. Mit ihrem Partner Robert Heitmann hat sie gerade das zweite Album in ebensovielen Jahren veröffentlicht. Darauf zeigt sich das Duo erneut mit anmutiger Schwermut und einer großen Prise Pathos—wer wäre ich, um mich darüber zu beschweren. Noch einmal Nico.

Beach House – Dark Spring

Das Duo hat offenbar entschieden, sich in Richtung eines reduzierteren, rhythmischeren Klangs zu bewegen. Dieser Song kann vielleicht nicht ganz mit den anderen beiden Auskopplungen aus dem bald erscheinenden Album “7” mithalten, dafür beigeistert mich das Video von den Höhen der Straßenlaternen bis in die düsteren Tiefen des Swimmingpools. Zuerst entdeckt bei René.

Florian Lehmuth
21. April 2018
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