Proudly made on earth

Die Alben des Jahres

10. Eels – Tomorrow Morning

“Tomorrow Morning” bildet das abschließende Werk der dreiteiligen Serie, die Mark Everett im Vorjahr mit “Hombre Lobo” anstieß. Eine beachtliche Ausstoßfrequenz für einen Künstler, der sich ansonsten immer gut und gerne mal zwei Jahre zwischen seinen Veröffentlichungen Zeit nahm. Doch überraschenderweise nimmt die Qualität dadurch keinen Schaden, jedenfalls nicht zwangsläufig. Ja, dieses Album mag wie eine akustische Therapiesitzung klingen, doch im Grunde habe wir eine solche doch alle nötig. Und was gibt es schöneres als eine Reihe hoffnungsspendender Lieder, die unsere schmutzige kleine Seele wieder reinwaschen.

09. Caribou – Swim

In jeder Rezension wird die Promotion Daniel Snaiths zum Doktor der Mathematik erwähnt. Auf den ersten Blick hat das wenig mit seiner Hauptbeschäftigung als erfolgreicher Musiker zu tun, doch bei intensiverer Reflektion fällt auf, dass die Logik hinter der klassischen Musiktheorie durchaus mathematischen Gesetzten folgt. Dass Caribou deshalb so tolle Songs aus dem Ärmel schüttelt, ist nur eine nicht sehr plausible Theorie. Meine Begeisterung ob dieses hochwertigen Elektronik-Outputs steht dagegen schon lange fest.

08. The Tallest Man On Earth – The Wild Hunt

Kristian Matssons Musik ist nicht sonderlich kompliziert aufgebaut, doch trotzdem besitzen seine Lieder so viel Tiefe, dass man sie noch nach dem zwanzigsten Durchlauf jedes Mal neu ergründen kann. Bemerkenswert ist, dass die Aufnahme so klingt, als lehne der Skandinavier an der Hauswand gegenüber spiele sich mit seiner Gitarre den Schmerz von der Seele. Obwohl alle Songs düster angehaucht sind, muss der Hörer keine Angst haben, in Trübsinn zu verfallen. Ganz im Gegenteil lädt Kristian Matsson dazu ein, in Nachdenklichkeit zu verfallen, das Leben in Retrospektive zu betrachten und aus seiner Musik Kraft und Verständnis zu schöpfen.

Rezension

07. Ratatat – LP4

Fragt mich nicht warum, irgendwie ging ich bisher immer stark davon aus, bei Ratatat handle es sich um ein französisches Duo. Schande über so viel Unwissen! Trotzdem enthält der unverkennbare Stil der New Yorker Elemente, die ich mich ganz bewusst an französische Elektro-Musik erinnert. Das sagt natürlich noch nichts über deren Qualität aus, doch in dieser Hinsicht kann ich Ratatat nur wärmstens empfehlen. Schade ist nur, dass wegen des erzwungen individuellen Sounds oftmals die Abwechslung auf der Strecke bleibt.

06. Arcade Fire – The Suburbs

Es ist nicht schwer, sich als Liebhaber von Independent-Musik auch für Arcade Fire zu begeistern. Man könnte die achtköpfige Groß-Gruppe geradezu als Aushängeschild der Szene bezeichnen. Fast schon orchestral muten die kunstvoll aufgebauten Lieder an, besetzungstechnisch lässt sich kaum ein Instrument vermissen. Win Butler legt seine ganze Leidenschaft und eine große Portion Schmerz in seinen Gesang. Genau das ist für mich aber auch ein Schwachpunkt: Nach einiger Zeit wird so viel Schwermut unerträglich. Bei mir reicht es nicht ganz für die Nummer Eins.

05. Vampire Weekend – Contra

Sie kommen ungefähr so biedern daher wie unsere Eltern, aber man muss sie einfach lieben, trotz Poloshirt und Rollkragenpullover. Allein schon wegen Ezra Koenigs Stimme, die über gefühlt drei Oktaven von einem Ton zum anderen hüpft. Die temporeichen, verspielten Gitarren- und Klavierläufe tun ihr Übriges. In gewisser Weise sind die Songs fast schon unnahbar, so schwerelos sie im Raum zu schweben scheinen. Und doch laden Vampire Weekend jede Sekunde dazu ein, voll und ganz in ihre ganz eigene Welt abzutauchen.

04. The Black Keys – Brothers

Beim Zusammentragen der Alben fiel mir irgendwann das völlige Fehlen jeglicher Rock-Nummern auf. Wie, ein ganzes Jahr ohne dreckige E-Gitarren, tobende Drummer und grummelnde Basslines? Ich konnte meine musikalischen Wurzeln doch nicht derart verleugnen! Musste ich auch nicht, weil mir alsbald die Black Keys wieder einfielen. Die Zwei-Mann-Band erfüllt all diese Kriterien perfekt. Wir holen schon mal die Röhrenjeans und Lederjacken wieder vom Dachboden und spielen ein wenig Sixties-Revival.

03. Crystal Castles – II

Elektronische Musik ist großartig. Elektronische Musik ist Punk in einer Form, die kraftvoller als Punk ist, und Rock auf einer Ebene, die sich durch verstärkte Gitarren nicht erreichen lässt. Die größte Gefahr dabei ist, dass das Endprodukt billig und einfaltslos wirkt. Crystal Castles sind anders. Sie wandern mühelos auf dem schmalen Grat zwischen oberflächlichem Disko-Lärm und virtuosem Indie-Sound. Die Grenzen gesellschaftlich akzeptierter Musikkomposition werden dafür ständig durchbrochen, mehr als einmal scheint das ganze Album unwiderruflich ins Groteske abzudriften, doch irgendwie schaffen es die beiden Kanadier immer wieder, das Ergebnis in Wohlklang aufzulösen. Jedenfalls stehen Crystals Castles ganz oben auf meiner Liste der Bands, die ich unbedingt noch sehen muss, bevor ich beruhigt dahinscheiden kann.

02. Get Well Soon – Vexations

Es fiel mir schon immer schwer, deutsche Musik gut zu finden. Dann kam vor drei Jahren Konstantin Gropper und bildete auf einen Schlag die größte Ausnahme. Nicht nur, dass er im Nachbarort aufgewachsen ist – irgendwie verbindet diese Heimat-Geschichte ja doch – plötzlich gab es eine Indie-Größe aus dem eigenen Land, die sich mit anderen internationalen Künstlern messen lassen konnte. Get Well Soon in ein Genre pressen zu wollen, ist völlig unmöglich. Fest steht nur, dass Gropper mit seinen kulturellen Anleihen, die bis in die Antike reichen, auch inhaltlich eine völlig neue Herangehensweise praktiziert. Außerdem legt er so viel Pathos in seine Lieder, dass sie langsam, aber sicher zum Bombast heranreifen. Get Well Soon machen keine Musik, die man zur Hintergrundbeschallung nutzen kann. Man muss zuhören. Und genießen.

01. Beach House – Teen Dream

Die tragische Ironie will es, dass ich das ganze letzte Jahr nie über Beach House geschrieben habe, “Teen Dream” aber rückblickend definitiv mein wichtigstes Album aus 2010 ist. Man macht es sich vielleicht leicht, den Stil des amerikanischen Duos als Dream-Pop zu bezeichnen, eine passendere Beschreibung gibt es aber nicht. Geradezu sphärische Klänge vesetzen einen in eine andere Welt, sozusagen den buchstäblichen Traum, der jedoch ganz dem Titel des Werkes entsprechend aus schlüpfrigen Sexgeschichten und allerlei anderer Anekdoten aus dem Teenagerleben besteht. Victoria Legrands Gesang ist kräftig und dunkel, doch gleichzeitig unnahbar und zerbrechlich. Die sanften Melodien sorgen dafür, das schon das zweite oder dritte Anhören von lauter kleinen Déja-Vús geprägt ist, die schnell zu tiefsitzenden Ohrwürmern heranreifen. “Teen Dream” ist ein Album zum versinken und nachdenken, definitiv aber ein Album, das uns noch lange Zeit begleiten wird.

Soundtrack

Bonustrack

Wie jedes Jahr hat die Hype Machine wieder ihren Zeitgeist mit den populärsten Bands, Songs und Alben 2010 veröffentlicht. Ich kann ungelogen behaupten, dass diese Institution für mich mittlerweile das Beste am Jahreswechsel ist.

Florian Lehmuth
22. Januar 2011
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