Proudly made on earth

Das soziale Netzwerk im Jahr 2014

Lake Helene

CC-BY: Zack Dischner

Das Jahr beginnt mit allgemeiner Ernüchterung. So wie wir uns das Internet ausgemalt haben, als Raum der grenzenlosen Freiheit, Sprachrohr der Unterdrückten und Mittel zur Völkerverständigung, existiert es nicht. Zwar geht der reguläre Betrieb erst einmal weiter, aber wirklich zu Hause fühle ich mich bei keinem der Giganten aus dem Silicon Valley mehr. Google macht Vorstöße in Richtung Militär, Twitter beugt sich dem Urteil der Aktionäre und Facebook – wer benutzt eigentlich noch Facebook? Einen zentralen Ort, an dem sich quirlige Geister tummeln, gibt es momentan nicht mehr. Aber warum nicht einen neuen erfinden? Ein paar lose Gedanken, wie ich mir das soziale Netzwerk der Zukunft vorstelle.

Schlank

Facebook macht keinen Spaß mehr, weil es vollkommen funktionsüberladen ist. Das zeigt sich auch daran, dass die wichtigsten Features mittlerweile in verschiedene Apps gepackt wurden und das eigentliche Produkt somit langsam zerfällt. Dagegen profitieren momentan viele kleine Dienste, die sich auf eine Kernkompetenz beschränkt haben. Ein soziales Netzwerk braucht: Ein Nutzerprofil mit ausreichendem Gestaltungsspielraum bei der Selbstdarstellung. Räume, in denen eine beliebige Anzahl von Nutzern Nachrichten austauschen kann. Zuletzt eine kommentierbare Timeline mit einem Medienmix aus Text, Bild und Bewegtbild.

Sexy

Gutes Design beginnt nicht bei der Form, sondern der Funktion. Der generelle Anspruch der Einfachheit und Übersichtlichkeit soll aber durchaus um eine ansprechende visuelle Gestaltung ergänzt werden, die in allen Größen funktioniert und Wiedererkennungswert hat. Mit Elementen wie ansprechender Typographie, ausreichendem Weißraum, großen Bildern, sparsamen Animationen und intuitiven Steuerungselementen soll keinen kurzlebigen Trends hinterhergejagt werden, sondern eine zeitlose Ästhetik als stabile Basis für die weitere Entwicklung geschaffen werden.

Auch über die Nutzerschaft kann die Attraktivität des Produkts erhöht werden. Es ist für den Erfolg ausschlaggebend, ob die ersten Anwender hippe, einflussreiche Early Adopters oder doch eher Kommandozeilenfetischisten mit begrenzter gesellschaftlicher Reichweite sind. Deshalb muss von Anfang um die gewünschte Zielgruppe geworben werden und die Best Practice durch Beispielprofile oder ein intuitives Design nahegelegt werden. Dynamiken, die sich unter den Nutzern entwickeln, sollen deshalb aber keineswegs ignoriert oder erstickt, sondern in die weitere Entwicklung einbezogen werden.

Sicher

Die NSA mag sich darum bemühen, jede Form der Verschlüsselung unbrauchbar zu machen, doch momentan dürfte das kostenfreie, quelloffene GPG noch ausreichenden Schutz bieten. Dessen Implementierung ist allerdings so kompliziert, dass selbst Anwender mit großem Durchhaltevermögen schnell genervt sind und am Ende feststellen müssen, dass sie mit ihrem Willen zur sicheren Kommunikation ziemlich einsam dastehen. Es spricht nichts dagegen, öffentlichen Schlüssels direkt mit Nutzerprofilen zu verknüpfen und durchsuchbar zu machen, wie sie es auch heute schon in den entsprechenden Datenbanken sind. Nicht nur die Kommunikation zwischen zwei Personen, sondern ganze Timelines können ausschließlich verschlüsselt transportiert werden, wenn die genauen Rezipienten im Vorfeld bekannt sind. Damit löst sich auch das Problem der Privatsphäreeinstellungen. Es bleibt die Schwierigkeit, die Integrität des privaten Schlüssels sicherzustellen, der auch bei einem webbasierten Dienst ausschließlich offline aufbewahrt werden muss und nicht in fremde Hände geraten darf. Noch riskanter wird es, wenn dieser Schlüssel auf mehreren Geräten gleichzeitig benutzt wird. Der Schwachpunkt der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung werden immer die Enden sein. Trotzdem geht die Möglichkeit eines solchen kryptografischen Schutzes weit über bestehende Angebote hinaus.

Nutzerfinanziert

Nach unzähligen gescheiterten Versuchen haben sich zwei tragfähige Methoden herauskristallisiert, um im Internet Geld zu verdienen: Werbefinanzierung und Crowdfunding. Der erste Weg ist für ein zukunftsfähiges soziales Netzwerk der falsche. Werbung kann nur funktionieren, wenn zumindest die wichtigsten demografischen Merkmale der Nutzerschaft bekannt sind, und je mehr persönliche Details an die Werbewirtschaft weitergegeben werden, desto höher sind die Erträge. Da den Nutzern jedoch das unbedingte Recht eingeräumt werden soll, ihre Identität vollkommen geheim halten zu können, müssen ebendiese selbst bezahlen.

Damit tut sich allerdings gleich eine Reihe weiterer Probleme auf. Die erste Schwierigkeit besteht darin, einen anonymen Zahlungverkehr zu ermöglichen. Mit Bitcoin bietet sich schon eine erste Lösung an, doch momentan ist der Einsatz der virtuellen Währung noch so umständlich, dass die Suche nach weiteren Alternativen fortgesetzt werden muss. Eine weitere Möglichkeit könnte der nicht rückverfolgbare Verkauf von Gutscheinen in großen Ladenketten und kleinen Geschäften sein, wie er beispielsweise bei iTunes schon lange funktioniert. Auch die traditionelle Überweisung sollte in Betracht gezogen werden, solange das Bankgeheimnis in manchen Ländern noch etwas wert ist.

Ein größeres Hindernis besteht darin, dass eine Zahlungspflicht ökonomische Unterschiede aus der materiellen Welt direkt im virtuellen Raum fortschreiben würde. Weil ein soziales Netzwerk, das seinen Namen verdient, nicht nur aus Mitgliedern einer westlichen Mittelschicht bestehen soll, können die Nutzer nicht zum Zahlen gezwungen werden. Mithilfe einer finanziellen Selbsteinschätzung könnten aber gutgemeinte Gebührenvorschläge gemacht werden. Im besten Fall strapaziert das Verfahren nur halb so viele Nerven wie die Spendenaktion der Wikipedia und sorgt dafür, dass bessergestellte Nutzer benachteiligte indirekt unterstützen.

Dezentral

Bitcoin hat eindrucksvoll vorgeführt, wie sich mit entsprechenden Anreizen eine extrem stabile, dezentrale Infrastruktur aufbauen lässt. Ein aufstrebendes soziales Netzwerk kann es sich natürlich nicht leisten, seine Nutzer zu bezahlen. Aber es kann eine Kostenersparnis weitergeben, die dadurch entsteht, dass Nutzer einzelne Instanzen der Software auf ihren eigenen Servern hosten. Neben dem materiellen Nutzen ergibt sich dadurch auch ein Gewinn an Sicherheit, denn ein dezentrales Netzwerk läuft stabiler und lässt sich weniger leicht angreifen.

Nicht nur beim Hosting kann die Nutzerschaft aushelfen, sondern auch bei der Weiterentwicklung des Produkts. Um die Mitarbeit zu erleichtern, sollen dafür öffentliche Strukturen wie Bugtracking, Aufgabenverwaltung und Übersetzungsprogramme geschaffen werden. Damit wird die Hierarchie zwischen Entwicklern und Anwendern so gering wie möglich gehalten und eine wichtige Bildungsfunktion ausgeübt, denn ein erwachsenes Netz braucht mündige Nutzer. Selbstredend wird die fertige Software unter Open-Source-Lizenz verbreitet.

Mobil

Smartphones und Tablets sind kein Nischenmarkt, sondern für immer mehr Menschen die einzigen Geräte, mit denen sie auf das Internet zugreifen. Während also eine erste Version des Produkts noch als reiner Webservice mit responsivem Design veröffentlicht werden könnte, müssen Apps für alle wichtigen Plattformen in der weiteren Entwicklung oberste Priorität haben. Der Schwerpunkt sollte dabei auf Schnelligkeit und Sicherheit liegen. Ob mobile Geräte die Ver- und Entschlüsselung der Inhalte ohne Weiteres stemmen können, muss ausprobiert werden. Dass mobile Betriebssysteme mit Sicherheitslücken und langen Updatezyklen zu kämpfen haben, ist bekannt. Trotzdem muss die Integrität der Sicherheitsarchitektur stets gewährleistet werden.

Warum ich diese Überlegungen anstelle?

So recht weiß ich es selbst nicht, denn ich bin kein Programmierer, kein Unternehmer und als Internettheoretiker nur Amateur. Nur in einer Hinsicht bin ich qualifiziert, einigermaßen fundierte Aussagen zu treffen, nämlich als Nutzer. Und als solcher möchte ich bei der Neugestaltung des Internets eine wichtigere Rolle ausüben, als sie mir bisher zugewiesen wurde. Die digitale Aufklärung beginnt mit dem Bewusstsein über die grundlegende Funktionsweise des Internets. Sie verlangt, dass wir als Konsumenten überlegte Entscheidungen treffen und als Entwickler selbst an der Zukunft mitarbeiten. Wenn wir wollen, dass unsere Utopie eines freien Internets irgendwann Realität wird, müssen wir darum kämpfen.

Florian Lehmuth
29. Januar 2014
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