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Breaking Bad S05E09: Blood Money

Breaking Bad S05E09 Walt

© AMC

Wenn sich Moleküle in einem geschlossenen physikalischen System frei bewegen können, verteilen sie sich gleichmäßig im Raum. Die Teilchen besitzen maximale Entropie oder können anders ausgedrückt die größtmögliche Anzahl von Zuständen innerhalb des Systems realisieren. Im populärwissenschaftlichen Sprachgebrauch könnte man ein solches System auch als perfekt geordnet beschreiben. In unserem Universum nimmt die Entropie stetig zu, doch die Ordnung hat ihren Preis: Je gleichmäßiger die Teilchen eines Systems verteilt sind, desto weniger Information lässt sich aus ihnen gewinnen. Um eine bedeutungsvolle Struktur wie einen lebenden Organismus zu erschaffen, muss ein Zustand geringer Entropie angestrebt werden, der nur unter hohem Energieaufwand zu realisieren ist.

Wenn wir diese Überlegungen auf eine sehr naturwissenschaftlich geprägte Fernsehserie übertragen, ergeben sich aufschlussreiche Erkenntnisse: Am Tag nach seinem fünfzigsten Geburtstag stürzte für Walter White eine Welt zusammen. Das Wissen über den Lungenkrebs verlieh seinem Leben eine radikale Wendung, doch für den Kosmos war das Geschwür nur Teil des natürlichen Laufs der Dinge. Aber Walt wollte dieses Schicksal nicht hinnehmen. Er stellte sich bewusst über die natürliche Ordnung, als er den Plan schmiedete, die vorhandenen Strukturen seiner Umwelt aufzubrechen und auf neue Art und Weise zusammenzusetzen. Diese Transformation erforderte jedoch eine gehörige Menge Energie, die Walt nur durch kriminelle Machenschaften aufbringen konnte.

Entropie ist langweilig

Etwas mehr als fünfzehn Monate später ist die Umwandlung abgeschlossen. Walt hat sich eine neue Biografie gebastelt und alle Puzzleteile seines neuen Lebens akribisch arrangiert. Es gibt nur eine Schwachstelle, die die ganze Konstruktion zusammenbrechen ließe, und der Kosmos will es, dass ausgerechnet Hank den Makel in der ansonsten so perfekten Erscheinung erkennt. Der Zeitraum für Korrekturen, der Walt noch bleibt, schmilzt dahin. Der Krebs ist zurück, das Ende in Sicht. Ich habe in der letzten Folge überlegt, ob der große Heisenberg den einzigen Hinweis auf sein Doppelleben nicht absichtlich platziert hat, um der Welt von seinen Taten zu erzählen. Genies sehnen sich nach Anerkennung. Die neue Konfrontation verleiht dem Serienfinale auf jeden Fall enorme Spannung: Entropie ist langweilig.

In Blood Money wird das Erzähltempo wieder auf gewohnte Gemächlichkeit gedrosselt, nachdem in der Episode zuvor drei Monate im Zeitraffer dargestellt wurden. Trotzdem wird keine Zeit vergeudet, die neue Konfliktlinie zu ziehen, die am Beginn von Walts Niedergang stehen soll. Einen weiteren flüchtigen Blick auf dieses Ende können wir erhaschen, als Walt mit neuer Identität und Maschinengewehr an den Ort zurückkehrt, der sich innerhalb von Monaten vom Zuhause der Whites in eine Ruine verwandelt hat, die weiträumig abgesperrt ist. Die bröckelnden Mauern stehen auch als Mahnmal für die mythische Gestalt, die im zerbrochenen Spiegel nur noch als Schatten seiner einstigen Größe zu erkennen ist.

Auf der Esszimmerwand steht in leuchtend gelben Buchstaben Heisenberg geschrieben und es ist schwer zu glauben, dass damit mehr gemeint sein soll als eine Legende, die sich die skatenden Kids im Garten nachts am Lagerfeuer zuraunen. Aber noch ist die sagenumwobene Gestalt ein freier Mann, der aus eigenem Willen in seine alte Welt zurückkehrt. Nicht, um in alten Erinnerungen zu schwelgen oder in Ruhe Abschied zu nehmen, sondern um offene Geschäfte zu beenden. Dazu benötigt er das Gift, das seit langer Zeit versteckt auf seinen Einsatz wartet. Heisenberg mag totgesagt werden, doch das Böse lebt noch immer weiter.

Die Wahrheit lässt sich nicht mehr aufhalten

»You’re the devil,« meint Marie zu Walt, als sie in der Gegenwart beim Essen sitzen. Noch scherzt sie. Doch die Wahrheit lässt sich nicht länger aufhalten. Jesse bekommt einen Eindruck davon, welche Abgründe sich hinter Walts Maske auftun, als er von ihm zum zweiten Mal seinen Anteil am Blutgeld erhält. Als er Walts Beteiligung am Verschwinden Mikes anspricht und ihm nur hohle Phrasen erwidert werden, zeichnet sich in seinem Blick ein neuer Grad an Angst und Entsetzen ab. Während Walt selbst noch an seine Fassade zu glauben scheint, gibt es für Jesse keine Perspektive mehr, an die er sich klammern kann. Alles Geld der Welt kann nicht begleichen, was er zerstört hat. Die weiteren Aussichten sind düster.

Walt hingegen blüht dank seiner neuen Aufgabe sichtlich auf. Sein Dasein als Frührentner ist mehr als eintönig, seine einzige Herausforderung die richtige Anordnung von Raumsprays in der Autowaschanlage. Schon überlegt er, das Unternehmen zu vergrößern, als Lydia ihm die Chance bietet, erneut aus dem grauen Alltag auszubrechen. Doch so leicht lässt sich Walt von seinem Entschluss nicht abbringen. Hanks Entdeckung sorgt schließlich unverhofft für den ersehnten Nervelkitzel. Sein Erfolg als Drogenkoch hat ihm ein ungeheures Selbstbewusstsein verliehen, das ihm das Gefühl gibt, unbesiegbar zu sein. Vielleicht wird ihn genau diese Selbstüberschätzung letztlich zu Fall bringen.

Hank jedenfalls ist von seiner Entdeckung zunächst überwältigt. Größer als das Bild des Grauens, das sich ihm öffnet, ist das Gefühl des eigenen Versagens. Die Wahrheit wirkt so einfach, so logisch, so offensichtlich. War ASAC Merkert zutiefst erschüttert, als er feststellte, dass sich mit Gus Fring der Feind direkt unter seinen Augen bewegt hatte, ereilt Hank das selbe Gefühl nun in vielfach höherer Intensität. Das Böse hat sich wie ein Krebsgeschwür innerhalb seiner eigenen Familie ausgebreitet und es lässt sich nicht entfernen, ohne dem Organismus beträchtlichen Schaden zuzufügen. Bevor er sein Auto vor Ohnmacht in einen Vorgarten lenkt, spricht Marie noch freudig davon, dass die Familie zweite Flitterwochen verdient hätte.

Unentschieden

Walt kann sich auf die Verwirrung seines neuen Gegners stützen, der noch völlig unentschlossen ist, wie er den Konflikt angehen soll: »Have Skyler bring the kids here, and then we’ll talk.« Hanks Schwäche für die Familie lässt Walt ausreichend Spielraum, um wieder einmal psychologische Tricks anzuwenden. Ein sterbender Mann wie er sei niemals hinter Gitter zu bekommen und das einzige Resultat seiner Festnahme wären fatale Folgen für die Familie. Walt liebt es, mit offenen Karten zu spielen, aber wie so oft besitzt er auch diesmal eine gute Hand. Plötzlich scheint Hanks ersehnter Triumph wieder in weiter Ferne. Sein Faustschlag trifft nicht den großen Heisenberg, sondern einen schwächlichen alten Mann, der widerstandslos in sich zusammensackt. Hank hat keine Ahnung, wer da eigentlich vor ihm steht.

Wirkte Walts Schicksal am Ende der letzten Folge beinahe besiegelt, so sind nun wieder alle Optionen offen. Das Aufeinandertreffen der beiden größten Kontrahenten endete mit einem Unentschieden. Doch es gibt weitere Fronten, an denen gekämpft werden muss: Jesses schlechtes Gewissen macht ihn wieder einmal zu einem unberechenbaren Risiko. Sollte er herausfinden, was Walt hinter seinem Rücken unternommen hat, droht ungeahnte Gefahr von seiner Seite. Auch Lydia lässt sich nicht so einfach abweisen, wie es Walt lieb wäre. Er hat seinem Heisenberg ein Grab geschaufelt, doch aus dem Gedächtnis der restlichen Welt lässt sich dessen Erinnerung nicht so einfach auslöschen. Die drängenste Frage ist jetzt, ob Hank sein Wissen für sich behalten oder weitere Personen in das Geheimnis einweihen wird.

Florian Lehmuth
27. August 2013
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