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Never look back – Skins Season 7

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Backstories nennt man beim Film Geschichten, die eine Figur zum Leben erwecken. Eine fiktive Biografie, die lange beginnt, bevor die Kamera läuft; Erlebnisse, die einem Protagonisten Halt im Strudel der Realität verleihen; Anekdoten, die einen schemenhaften Charakter mit Details ausschmücken. Auf diesen Erzählungen baut dann die weitere Entwicklung der Figur auf, um der Handlung eine glaubwürdige Dynamik zu verleihen.

In Sachen Authentizität hat Skins einst neue Maßstäbe gesetzt, doch auch der Bruch mit Konventionen war für den Erfolg der Serie ausschlaggebend. Demnach schafft es die neue und finale Staffel, Erwartungen zu erfüllen und trotzdem zu überraschen: Die Lebensläufe von Effy, Naomi und Emily sind uns ebenso bekannt wie die von Cassie und Cook, jedenfalls bis zu ihrem Aufprall in den späten Teenager-Jahren. Was danach passiert, ist jedoch völlig offen. Und die neuen Folgen versuchen erst gar nicht, für Aufklärung zu sorgen.

Effy hat ihre Dämonen besiegt und den Verlust Freddies überwunden. Die Beziehung zu Naomi und Emily ist der einzige Erinnerungsfetzen, der aus ihrer Vergangenheit erhalten bleibt. Sie bewegt sich in luftleerem Raum, in einer Scheinwelt, die sich von der Realität abgekoppelt hat, um sich uneingeschränkt dem Spiel mit Zahlen widmen zu können. Effy hat ihre Alpträume gegen ein Büro in der City und ein lichtdurchflutetes Loft getauscht, ihre Persönlichkeit für ein paar Hosenanzüge und High Heels verkauft. Sie lässt sich auf das böse Spiel ein, um der Welt etwas zu beweisen, und merkt dabei nicht, dass sie schon durch diesen Schritt verloren hat.

Am stärksten wurden bei Skins immer diejenigen bestraft, die mehr noch als alle anderen im Moment lebten. Dieser Hedonismus wurde stets mit dem Leben geahndet und ließ den Tod der Protagonisten nur umso sinnloser wirken. Naomi ist die letzte in dieser Reihe, auf ewig das Mädchen, das ihrem Umfeld bei der Verwandlung zusah und sich selbst nicht verändern wollte, das an ihren Idealen festhielt und gleichzeitig erleben musste, wie ihr auf diese Weise ein fester Platz in der Welt verwehrt blieb. Wer trennt sich also von wem, die verkehrte Welt von den Unschuldigen oder umgekehrt? Vielleicht fällt denjenigen, die nichts zu verlieren haben, der Abschied leichter als das Bleiben.

Auch Cassie versprüht eine gewisse Leichtigkeit, die aber noch zu oft von einer tiefen Melancholie getrübt wird. Dafür hat sie gelernt, sich selbst und den Augenblick zu ertragen. Mit ihrem Wissen, Menschen loslassen zu können, ist sie ihrem Vater voraus. Die Folge endet wohl so glücklich, wie es in dieser Staffel möglich ist. Irgendwie bleibt trotzdem ein Gefühl der Leere zurück: Es passiert erstaunlich wenig in Pure. Langsamkeit ist sicherlich ein valides Erzählmittel, doch stellenweise fehlt mir in den neuen Folgen die emotionale Tiefe.

Neunzig Minuten lassen viel Spielraum für charakterliche Entwicklung, der in diesem Fall jedoch bei weitem nicht ausgeschöpft wird. Die Figuren wirken seltsam platt, wie bloße Schatten ihrer einstigen Größe. Der inhaltliche Rahmen lässt es den Darstellern nicht zu, an ihre alten Erfolge anzuknüpfen. Das liegt bestimmt auch daran, dass die Handlung auf früheren Staffeln aufzubauen versucht und es dennoch nicht schafft, den nötigen Kontext zu schaffen, um wirklich bedeutsame Geschichten zu erzählen. Die backstory hat eine Lücke. Als alleinstehende Spielfilme können die neuen Folgen nur enttäuschen.

Das trifft auch auf Cook zu, dem nicht nur wegen der großartigen Leistung Jack O’Connells die beste Folge zuteilwird. Sein Zufluchtsort war schon immer die Straße, sein letzter Ausweg die Flucht. Geradezu meditativ wirkt die Fahrt durch das nächtliche Manchester, der schönsten Stadt Englands. Ein Leben im Takt der vorbeiziehenden Straßenlaternen, untermalt von einem hypnotischen Soundtrack und begleitet von den tiefschürfenden Gedanken des Protagonisten. Die Parallelen zu Ryan Goslings Drive liegen auf der Hand. »One thing I’ve learned is that you should never look back. The past is dead and buried.« Doch so ganz will Cook nicht gelingen, wovon er spricht. Die Vergangenheit holt ihn ein.

Dabei schien es zuletzt so, als habe er seinen inneren Frieden gefunden. Er legte für die Taten seiner Freunde Rechenschaft ab und musste die Folgen dafür tragen. Er stand Freddie in seiner größten Krise bei. Bevor er schließlich den Tod seines besten Freundes rächte, rechnete er auch mit seinem bisherigen Leben ab. »I’m a fucking waste of space. I’m just a stupid kid. I got no sense. I’m Cook!« Doch den seelischen Schaden, den er von der Tat davontrug, hat er noch nicht überwunden. Cook ist ein guter Junge, aber sein moralischer Kompass ist aus dem Gleichgewicht geraten. Er hat Schwierigkeiten damit, zur Ruhe zu kommen, ohne an sich selbst zu zerbrechen. Aber davonzulaufen ist einfach.

So leicht gibt Cook nicht auf. Er hat sich verändert. Er ist deutlich reifer geworden. Er ist treu gegenüber seiner Freundin, gegenüber dem Drogenhändler, für den er arbeitet, und gegenüber sich selbst. Das Ziel der Reise scheint in Sicht. Doch dann werfen ihn die Entscheidungen anderer aus der Bahn und er blickt plötzlich erneut dem Tod ins Auge. Der alte Cook kommt wieder zum Vorschein, er ist schwach und er löst Konflikte, indem er davonläuft. Er sieht erbärmlich aus, wie er sich zu den Eltern seiner Freundin rettet und sich im Pub von den Dorfbewohnern provozieren lässt.

Doch die Konfrontation mit dem durchgedrehten Drogenboss gibt im die Chance, sich seiner Vergangenheit ein zweites Mal zu stellen. Erneut verliert er einen geliebten Menschen auf brutale Art und Weise. Aber diesmal widersteht Cook der Versuchung, ein weiteres Leben dafür zu nehmen. Blutverschmierte Gesichter im Schnee. Bilder, die einem Schlag in die Magengrube gleichkommen. Fast möchte man meinen, Skins habe seinen Anspruch für sinnloses Blutvergießen aufgegeben. Die Doc Martens gegen einen schicken Hauch Morbidität eingetauscht. Aber die Szenen sind viel zu unwirklich, um ernstgenommen zu werden. Und irgendwie schaffen es die Autoren doch noch, uns zum Nachdenken anzuregen.

You think you know death, but you don’t. Not until you’ve seen it, really seen it. It gets under your skin and lives inside you. You also think you know life, you stand on the edge of things and watch it go by. But you’re not living it, not really. Just a tourist – a ghost. Then you see it, really see it. It gets under your skin and lives inside you and there’s no escape. There’s nothing to be done, and you know what: It’s good, it’s a good thing. And that’s all I’ve got to say about it.

Man kann der Serie keinen Vorwurf daraus machen, dass viele der ersehnten Antworten vorenthalten werden. Doch vielleicht muss man ihr vorwerfen, nicht die richtigen Fragen zu stellen. Wahrscheinlich war Skins nie dazu gedacht, über das Teenageralter hinauszuwachsen. Wir sind älter geworden, aber unsere Erinnerungen sind für immer auf der Leinwand konserviert. Die frühen Staffeln transportieren uns in eine andere Zeit. Unser heutiges Lebensgefühl wird jedoch von anderen besser eingefangen.

Florian Lehmuth
9. August 2013
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