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Ich war davor noch nie auf Heybeliada (Istanbul 2/4)

Istanbul 19

Städteurlaub ist kein Erholungsurlaub. In in dieser Hinsicht habe ich mir auch gar keine andere Vorstellung gemacht, aber als dann schon nach dem ersten ganzen Tag die Füße schmerzen und meine Haut verbrannt ist, weil ich im Vorfeld natürlich keinen einzigen Gedanken auf Sonnencreme verwendet habe, bin ich selbst überrascht, wie anstrengend so eine kulturelle Entdeckungsreise sein kann. Ich bin reif für die Insel. Wie gut, dass sich im Marmara-Meer, nur wenige Kilometer vom Festland entfernt, ein kleines Archipel befindet, das für mein Bedürfnis nach Erholung wie geschaffen ist: Die Prinzeninseln.

Mit den allgegenwärtigen Fähren habe ich schon ein paar Erfahrungen gemacht. Auch hier wird wieder mit Jetons bezahlt, die man üblicherweise für drei Lira erhält, also etwas mehr als einen Euro. Die Erfahrung, auf dem Stadtdampfer den Bosporus zu überqueren, während sich auf dem Deck zum strahlenden Sonnenschein eine frische Brise und Möwengeschrei mischt, ist diesen Preis mehr als wert. Die Inselgruppe, die auf Türkisch Adalar genannt wird, erreicht man entweder von Kabataş oder Kadıköy und der übliche Preis beträgt fünf Lira, dafür dauert die Fahrt aber auch rund einunhalb Stunden.

Als ich den Hafen von Kadıköy erreiche, ist es schon Mittag. Bis ich das richtige Gate gefunden habe, vergeht einige Zeit. Die Beschilderung macht es mir nicht gerade einfach und auf englische Übersetzung wird größtenteils verzichtet. Glücklicherweise besitzt jede Fährlinie einen eigenen Steg mit Wartehalle. Als ich die richtige identifiziert habe, bin ich alles andere als allein. Es ist Samstag, und da die Inseln nicht nur von Touristen wie mir angesteuert werden, sondern überwiegend von Einheimischen, bei denen sie als Ausflugsziel am Wochenende große Beliebtheit besitzen, wird es etwas eng. Eine Uhr zeigt die Ankunftszeit der nächsten Fähre an und als der ersehnte Dampfer dann endlich anlegt, beginnt fast so etwas wie ein Wettrennen.

Zitronentrichter und Gemüseschäler

Ich stelle mich dabei wie üblich nicht sonderlich geschickt an und betrete ein ziemlich überfülltes Schiff. Auf dem Außendeck kann ich noch ein kleines Fleckchen Platz auf dem Boden ergattern, Sitze und Reling sind besetzt. Das macht aber nichts, an die gute Aussicht werde ich schon noch auf dem Rückweg kommen. Die Passagiere beobachten interessiert die Vorführung von Küchengeräten, neben dem Verkauf von Simit, den traditionellen Sesamkringeln, eine Strategie, mit der sich ein paar Männer an Bord etwas Geld erwirtschaften möchten. Der erste präsentiert begeistert eine Art Trichter, der in eine Zitrone gesteckt werden kann, um an ihren Saft zu gelangen. Nach Gebrauch kann das Gerät verschlossen werden und die Frucht bleibt frisch. Es folgt ein Gemüseschäler, der am Beispiel einer Gurke vorgestellt wird. Der Verkäufer schält Streifen, die an der Seite des Gemüses herunterhängen – aus der Gurke wird eine grüne Banane. Begeistertes Gelächter im Publikum. Als dann ein Preis genannt wird, ebbt die Begeisterung allerdings schnell wieder ab.

Die erste Insel, die angesteuert wird, heißt Kınalıada und wird von Neubauten und Antennenmästen beherrscht. Ich rühre mich nicht von der Stelle. Mein Ziel ist Heybeliada, die zweitgrößte Insel, und in meiner Vorstellung die interessanteste, weil hoffentlich nicht so überlaufen wie die größte und trotzdem groß genug für eine mehrstündige Besichtigung. Ein paar Minuten später stehe ich wieder auf festem Boden und tauche ins Inselleben ein.

Rund um den Hafen befindet sich eine kleine Stadt mit stilvoll gealterten Holzhäusern und schmalen Straßen, auf denen Kinder Fußball spielen, ältere Menschen Einkäufe transportieren und Einheimische aller Art von Tischen und Stühlen aus das Treiben bei einer Tasse Tee beobachten. Angst, überfahren zu werden, müssen sie nicht haben. Auf jeder der Prinzeninseln ist der Verkehr nämlich auf Pferdekutschen, Fahrräder und die eigenen Beine beschränkt. Autos hingegen sind verboten, natürlich mit ein paar Ausnahmen – Polizei und Notarzt haben selbstverständlich freie Fahrt und auch das Militär, das hier wie in ganz Instanbul sehr präsent ist, wird bestimmt nicht unmotorisiert sein.

Eine Insel ohne motorisierten Verkehr

Diese speziellen Verkehrsregeln tragen sehr zur entspannten Atmosphäre auf Heybeliada bei und während ich mit einem Eis in der Hand durch den Ort spaziere, stelle ich mir vor, wie es wohl wäre, selbst den Sommer hier verbringen zu können. In Richtung Landesinneres wird das Terrain ein wenig steiler und die Besiedlung findet rasch ein Ende. Dafür beginnen sattgrüne Kiefernwälder, die sich auf der rötlichen Erde erheben. Ich genieße die Ruhe und den Blick auf die große Stadt am Horizont, das Meer und die anderen Inseln, doch schon bald tauchen an den Bäumen merkwürdige Schilder auf, die auch mit englischen Worten beschriftet sind und mir das Gefühl vermitteln, dass ich besser nicht weitergehen sollte. Nach ein paar Metern kehre ich wieder um.

Ein anderer Weg verspricht mehr Erfolg und führt mich immer höher und höher hinauf, ohne dass ich so recht weiß, ob sich die Mühe lohnt, weil die dichte Vegetation mir die Sicht versperrt. Umso mehr habe ich das Gefühl, dass ich nur noch wenige Schritte von einem spektakulären Panorama entfernt sein muss. Hin und wieder gibt der Wald ein paar Blicke auf die große Bucht im Süden preis, wo sich ein paar Segelboote tummeln. Eines der Gebäude, das in der Ferne auf dem Hügel der Hoffnung thront, stellt sich im Nachhinein als das Seminar von Halki heraus, eine 1971 geschlossene orhodoxe theologische Hochschule.

Griechische Mönche kamen nämlich schon im achten Jahrhundert auf der Insel und errichteten ein Kloster, das den Grundstein für ein über Jahrhunderte andauerndes religiöses Miteinander bedeuten sollte. Später waren es dann auch vor allem reiche Griechen aus der Stadt, die in den Inseln den perfekten Ort für den Bau ihrer Sommerresidenzen erkannten. Nach der Ausrufung der Türkischen Republik hatte die Vielfalt der Religionen und Kulturen allerdings zu leiden, der Zypern-Konflikt sollte die Lage noch verschärfen. Heute sind die Türken auf den Inseln klar in der Überzahl, aber das kulturelle Erbe ist noch immer vielerorts zu spüren. Ich komme mitten im Wald an einem Friedhof vorbei und anhand der Inschrift im griechischen Alphabet schlussfolgere ich, dass hier wohl orthodoxe Christen begraben liegen müssen.

Auf der Spitze des Hügels bleibt mir zwar der spektakuläre Ausblick verwehrt, aber dafür stoße ich auf eine Gruppe von Kindern, die auf einem staubigen Platz Fußball spielen. Das Leben geht weiter, ungeachtet der Konflikte, die an anderen Orten und zu anderen Zeiten ausgetragen werden. Auch für mich, denke ich, und stelle fest, dass es langsam Zeit für die Rückfahrt wird. Unser Schiff macht sich auf den Weg zurück in die Megastadt, als sich der Tag dem Ende zuneigt und der Himmel die gleiche Farbe annimmt wie unter ihm das Wasser. Der kühle Wind lässt mich frösteln, aber trotzdem verharre ich wieder auf dem Außendeck, wo sich verliebte Pärchen zärtlich aneinanderschmiegen. Der Horizont scheint in unendlicher Ferne zu liegen, während wir ganz allein in unserer Nußschale zwischen den Wogen des Meeres treiben. Da tauchen auch schon wieder die ersten Lichter von Sultanahmet auf. Zeit, Pläne für den nächsten Tag zu schmieden.

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Florian Lehmuth
26. Mai 2013
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