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Ich war davor noch nie in Budapest (1/2)

Budapest 01

Planung gehört nicht zu meinen Stärken. Tage zerfließen, Wochen ziehen unbemerkt vorbei und Monate verschwinden, ohne einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Dann tauchen plötzlich wie aus dem Nichts sieben zusammenhängende Tage auf, an denen ich nichts Bestimmtes zu tun habe. Was hält mich noch hier, wo es doch an jedem anderen Ort so viel Neues zu entdecken gibt? Das chaotische Vorsichhinleben rächt sich bitter, wenn man feststellt, dass sich über Nacht weder ein günstiger Traumurlaub buchen noch die passenden Reisegefährten organisieren lassen. Doch halb so schlimm, schließlich bin ich gewohnt, mit mir selbst und einem schmalen Budget auszukommen. Es gilt, das Beste aus meinem Wunsch nach räumlicher Veränderung herauszuschlagen.

Zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort wäre der Roadtrip wahrscheinlich die perfekte Reiseform für mich. Im Morgengrauen ins Auto steigen, kein festes Ziel vor Augen, und der gewohnten Welt unbemerkt entkommen, bevor die Sonne aufgeht. Wie Dean Moriarty einem Traum hinterherjagen, der Idee, dass man den bösen Geistern der Vergangenheit entkommen kann, wenn man nur schnell genug fährt; dass jeder Ort eine einzigartige Stimmung transportiert und man sich selbst verändert, während man sich von Stadt zu Stadt bewegt. Im festen Glauben an die Vorstellung leben, dass irgendwo da draußen eine Welt der unbegrenzten Möglichkeiten lauert, nach der man nur lange genug suchen muss.

Doch ich wurde nun einmal in das Zeitalter von Pauschalreisen und Frühbucherrabatten geboren. Selbst Last Minute wird heute Monate im Voraus gebucht. Die rucksacktragenden Vagabunden, die mit InterRail von einem Abenteuer ins nächste fahren, gehören der Vergangenheit an. Innerhalb weniger Tage an ein preiswertes Flugticket zu kommen ist wohl ebenfalls ein Ding der Unmöglichkeit. Gleichermaßen kommt man an die billigen Tickets der Fernbuslinienanbieter nur, wenn man sie zu einem unmenschlich frühen Zeitpunkt bestellt. Nein, ein eigenes Auto besitze ich natürlich auch nicht, aber würde das heute auch noch wollen? Europa, ein ach so kleiner Kontinent und trotz Schengen mit unnötig hohen Hürden* für alle rastlosen Wanderer versehen, die spontan ein paar Ländergrenzen überqueren möchten. Eine Idee habe ich allerdings noch.

So sitze ich an einem Sonntagabend im späten August vor dem Rechner und warte gespannt auf das Ergebnis der Fluglotterie. Blind Booking nennt sich das: Man bestimmt Abflughafen, Datum und eine Gruppe von Zielorten. Der Flugplan hilft dabei, Ziele auszuschließen, die an den gewünschten Tagen erst gar nicht angeflogen werden. Weitere Orte können von der Liste gestrichen werden, wenn man einen kleinen Aufschlag auf den relativ günstigen Pauschalpreis in Kauf nimmt. Nachdem man bezahlt hat, erfährt man, wo die Reise hingeht. Bei mir soll es Budapest sein. Vermutlich nicht unter meinen Top Ten der zu besuchenden Städte, aber trotzdem schon lange in meinem Hinterkopf als eine stetig an Popularität gewinnende Metropole. Bald stellt sich die freudige Erwartung ein, die am Anfang jeder Reise steht. Und die Erkenntnis, dass ich nur noch wenige Stunden Zeit habe, um mich vorzubereiten.

Eine hektische Nacht mündet in einen kurzen Flug, auf dem ich mich nur oberflächlich in die Geschichte Budapests einlesen kann. Dann senkt sich das Flugzeug, die Ausläufer der Stadt tauchen auf und schließlich dürre, rotbraune Wiesen mit vereinzelten Bäumen. Der Flughafen wirkt klein und verlassen, es ist früher Montagmorgen und der große Besucheransturm steht offenbar erst noch bevor. Ich muss lange mit dem Geldautomaten kämpfen, bis er endlich die gewünschten Scheine ausspuckt. Als ich mir dann ein Ticket für den Stadtverkehr kaufen möchte, nimmt der nächste Automat mein Geld nicht an. Der Flughafenbus kommt mehrmals an und fährt ohne mich wieder ab. In einem anderen Terminal taucht unverhoffterweise ein Fahrkartenschalter auf: Meine Rettung.

Das Hostel befindet sich in Pest, auf der Ostseite der Donau. Der Reiseführer bietet einen einfachen Merkspruch, um die beiden Stadthälften auseinanderzuhalten: Buda ist bergig, Pest ist flach. Ich bin ziemlich froh darüber, dass ich mit meinem Koffer keine Steigungen erklimmen muss und stelle ihn erst einmal im Hostel unter, solange ich mein Zimmer noch nicht beziehen kann. Den Vormittag über irre ich ziellos durch die Innenstadt, vorbei am Stephansdom, dem alten Westbahnhof und den roten Oberleitungsbussen. In der Nähe der Kettenbrücke stoße ich auf die Donau und esse an der Uferpromenade feines Plundergebäck. Das Wasser fließt in unscheinbarem Blaugrau dahin. Ein zurückhaltender Auftritt für einen Strom, der einmal die Lebensader eines Kaiserreichs bildete.

Die Kettenbrücke ist die erste feste Brücke, die in Budapest die Donau überspannt. An diesem Tag ist sie für den motorisierten Verkehr gesperrt, warum soll ich noch erfahren. Ich begebe mich auf die andere Seite, in Richtung des imposanten Burgpalasts. Die ehemalige königliche Residenz thront hoch über Buda und hat einen guten Ausblick auf die ganze Stadt. Vorerst bleibe ich allerdings noch am Wasser und laufe die Schienen der Straßenbahn entlang, auf denen Reihen von Bierbänken aufgebaut werden. Die Vorbereitungen für ein großes Fest sind in vollem Gange und am nächsten Tag soll ich auch erfahren, worum es sich handelt. Es ist der 20. August, das Jubiläum der Staatsgründung durch Stephan I im Jahr 1000.

Morgens zieht am Ferenciek tere im Gedenken an den Nationalheiligen ein Pulk von Menschen mit rotweißgrünen Flaggen über die Straße. Am Nachmittag füllen sich die Bänke am Budaer Donauufer. Ein Volksfest mit allem, was dazugehört: Essensstände mit ungarischen Spezialitäten, künstliche Geigenmusik aus der Konserve und eine große Bühne, auf der seltsame Tänze aufgeführt werden. Ich beschließe, dass es ein guter Zeitpunkt ist, um den Burgpalast zu besichtigen. Um eines der Museen zu besichtigen, die dort mittlerweile angesiedelt sind, ist es allerdings schon zu spät. Also versuche ich zwischen den Menschenmassen im Park kurz an die Balustrade zu gelangen, um das obligatorische Foto des Panoramas aufzunehmen. Voll hier!

Der große Andrang wundert mich auch, als ich wieder unten an der Donau stehe und eigentlich schon auf dem Heimweg bin. Dann beginne ich einen Beweggrund hinter den kollektiv aufs Wasser starrenden Scharen zu sehen und entschließe mich, noch eine Weile zu warten. Wenig später werde ich mit dem prächtigsten Feuerwerk entlohnt, das ich bisher erleben durfte. Eine halbe Stunde lang werden von Kettenbrücke und Margaretenbrücke unablässig Feuerwerkskörper im Takt klassischer Musik abgefeuert. Ich befinde mich genau in der Mitte und weiß gar nicht, in welche Richtung ich meinen Kopf drehen soll. Ich hatte keine Ahnung davon, dass mein Aufenthalt mit einem solchen Spektakel zusammenfallen würde. Aber wenn mich das Universum auf diese Weise in meiner Spontaneität bestärken möchte, habe ich nichts einzuwenden.

*Es ist mir bewusst, wie überheblich diese Aussage für all diejenigen klingen muss, die nicht in den Luxus von 172 ohne Visumspflicht bereisbaren Länder kommen. Selbstverständlich geht es mir nicht um politische, sondern um ökonomische Hürden: Die Nichtexistenz eines gut ausgebauten transeuropäischen Schienen- oder Busverbunds.
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Florian Lehmuth
16. Januar 2014
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