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Testbericht: Jawbone UP

Jawbone UP Cover 01

Ein Armband schickt sich an, unser Leben zu verbessern: Das Jawbone UP sammelt Daten zu Bewegung und Schlaf. In einer App werden die Informationen aggregiert und ausgewertet, um neue Erkenntnisse über den Lebenswandel seiner Träger zu erhalten. Die Hardware überzeugt im Langzeittest, die Software schwächelt noch. Das Konzept ist trotzdem zukunftsweisend.

Im Frühjahr 2007 nahm der Siegeszug der Smartphones seinen Lauf. Seitdem sind sie von kleinen Technologiewundern zu alltäglichen Begleitern avanciert, denen ganz selbstverständlich die Rechenkraft abverlangt wird, die noch vor nicht allzu langer Zeit ausschließlich unter dem Schreibtisch vorzufinden war. In nur sechs Jahren sind Smartphones so allgegenwärtig geworden, dass sie bei denen, die jeglicher Innovation begeistert entgegenfiebern, also den Early Adopters, eigentlich nur noch gelangweiltes Gähnen wecken können. Ein neues Produkt muss her, am besten eine völlig neue Produktkategorie, die in uns die selbe Begeisterung entfachen kann wie in dem Moment, als uns zum ersten Mal ein kapazitativer Touchscreen futuristisch aus der Handinnenfläche entgegenleuchtete.

Momentan heißt die Entwicklung, die einer solchen Euphorie wahrscheinlich am nächsten kommt, Wearable Computing. Tragbare Rechner, die sich dem Formfaktor bekannter Kleidungsstücke annähern und durch die nahtlose Integration in unseren mobilen Alltag Kommunikation bequemer machen als je zuvor. Dadurch, dass die Geräte mehr oder weniger dauerhaft am Körper getragen werden, können sie über Sensoren automatisch allerlei Daten sammeln, die in früherer Zeit nur sehr mühsam in Telefon oder Desktop-PC hätten eingespeist werden können. Die Hersteller profitieren davon, dass die Gruppe der Early Adopters mit der Zeit nicht nur gewachsen ist, sondern sich auch grundlegend verändert hat: Längst besteht sie nicht mehr aus vorrangig männlichen Klischeenerds, die ihre Wohnung nur selten verlassen und einen eher ungesunden Lebensstil pflegen.

Die Vermessung des Selbst

Mit wachsender gesellschaftlicher Prestige für technische Innovationen sind ganz im Gegenteil Frauen und Männer herangereift, die Informationskompetenz mit frühmorgendlichem Joggen, gesunder Ernährung und einem generellen Lifestyle of Health and Sustainability vereinen. Also liegt es nur nahe, dass die tragbaren Computer zunehmend auch Daten über Bewegung, Schlaf und Ernährung sammeln und daraus generelle Trends zur körperlichen Verfassung berechnen. Das nennt sich dann Quantified Self. Die Vermessung des Selbst soll eine Außenperspektive auf unsere Lebensweise ermöglichen und dazu beitragen, festgefahrene, oft unbewusst ablaufende Routinen zu durchbrechen. Einmal eingerichtet bedeutet die ständige Datenerfassung keinen Zeitaufwand, kann im Gegenzug aber viel über die Auswirkung kleiner Veränderungen auf unseren Alltag verraten.

Geräte, die diesem Zweck dienen, gibt es mittlerweile viele. Zum Beispiel Waagen, die das Körpergewicht und andere Informationen nicht nur für ein paar Sekunden anzeigen und dann für immer vergessen, sondern an andere Geräte übermitteln, speichern und auswerten lassen. Auf einer höheren Ebene soll die Patienten-Fernüberwachung dafür sorgen, dass Menschen mit Diabetes, Demenz oder Herzerkrankungen in begrenztem Umfang auch zu Hause von ihren Ärzten beaufsichtigt werden können. Für diejenigen, die sich guter Gesundheit erfreuen, gibt es mittlerweile eine Reihe von Instrumenten, die die Bereiche Bewegung und Schlaf abdecken. So fungiert beispielsweise die SmartWatch Pebble auch als Schrittzähler. Das FuelBand hat einige Bekanntheit erlangt, ist aber ebenfalls auf die Aktivitäten beschränkt, die sich tagsüber abspielen. Fitbit hat jüngst das Flex vorgestellt, das auch den Bereich Schlaf abdeckt und somit dem UP starkt ähnelt.

Die Hardware

Im Gegenzug zu anderen Herstellern hat Jawbone erkannt, dass Armbänder schon seit jeher als reine Schmuckobjekte getragen werden, ohne eine zusätzliche Funktion zu erfüllen. Wichtiger noch als die technische Zuverlässigkeit ist also die Fähigkeit, sich nahtlos in den Alltag der Träger einzufügen und dabei so gut wie möglich auszusehen. Das UP wird diesem Anspruch vollends gerecht, es ist schlicht und leicht, man vergisst schon nach kurzer Zeit, dass man es am Handgelenk trägt, und wenn es dann hin und wieder ganz zufällig ins Auge sticht, kann man sich seines minimalistischen Designs erfreuen. Für die Bedienung sind nur die beiden Enden relevant, die versetzt nebeneinanderliegen, sich etwas überlappen und mit der generellen Elastizität des Bandes dafür sorgen, dass es nicht zu eng und trotzdem fest genug sitzt. Die eine Seite schließt mit einer silbernen Kappe ab, die die 3,5mm-Klinke verbirgt, mit der das Gerät ans Telefon angeschlossen wird. Am anderen Ende befindet sich eine LED-Anzeige, die den aktuellen Status angibt, und ein silberner Knopf, der verschiedene Aufgaben erfüllt.

Jawbone UP Closeup 01

In meinem nun mehr als sieben Wochen dauernden Test musste ich das Armband ein einziges Mal neu starten, weil es nicht mehr in den Schlafmodus wechseln wollte. Es gingen aber keine Daten verloren. Der Minicomputer arbeitet also so zuverlässig und stabil, wie man es sich in solch flexibler und obendrein wasserdichter Form kaum vorstellen könnte. Der Hersteller gibt die Akkulaufzeit mit zehn Tagen an, die in der Realität nicht ganz erreicht werden. Man muss sich aber tatsächlich erst nach einer Woche Gedanken über das Aufladen machen, was im Vergleich zu unseren Smartphones wie eine kleine Ewigkeit wirkt. Innerhalb einer Woche lässt sich auch problemlos ein Zeitraum von etwa 90 Minuten finden, in dem man sich weder bewegt noch schläft.

Zur Stromversorgung wird ein Kabel mitgeliefert, das auf der einen Seite eine Buchse für den Klinkenstecker und auf der anderen Seite einen USB-Stecker enthält. Auf ein Netzteil wurde verzichtet. Tatsächlich stellt aber die 3,5mm-Klinke den größten Schwachpunkt der Hardware dar. Für Besitzer von Apple-Geräten ab iOS 5.1 ist die Nutzung unproblematisch, aber bei Android-Anhängern gibt es mitunter auch mit neuen Geräten Probleme. Es empfiehlt sich, einen Blick auf diese Liste zu werfen und sicherzugehen, dass das Betriebssystem in Version 4.0 oder höher installiert ist. Glücklicherweise hat in meinem Test mit dem Samsung Galaxy S Plus und einem Custom-ROM alles funktionert.

Jawbone UP Closeup 02

Es ist trotzdem unerklärlich, wieso Jawbone nicht auf Bluetooth gesetzt hat und somit nicht nur auf eine hochgradig standardisierte Schnittstelle, sondern auch eine Funkverbindung, die in diesem Fall einer Kabelverbindung deutlich überlegen wäre. Denn bis auf die zwei bis drei Mal pro Tag, die ich das Armband in die Kopfhörerbuchse meines Telefons stecke, funktioniert das Armband autark, verrät mir jedoch kaum, was in seinem Inneren gerade vor sich geht. Ein Display existiert nicht; die Daten, die gesammelt werden, sprechen immer für die Vergangenheit, aber nie für den Moment. Über eine Drahtlosverbindung würde den Nutzern nicht nur das auf Dauer lästige Ein- und Ausstecken erspart bleiben. Es könnte ein Persönlichkeitsprofil erstellt werden, das in Echtzeit aktualisiert wird. Ich könnte meiner Twitter-Timeline Guten Morgen und Gute Nacht wünschen, wenn ich tatsächlich aufwache und einschlafe.

Die Software

Die App fordert ihre Nutzer beim ersten Öffnen auf, ein Benutzerkonto einzurichten, über das die Daten mit den Jawbone-Servern abgeglichen werden. In diesen Zeiten werden viele nicht gerade begeistert sein, ihre persönlichen Informationen einem US-amerikanischen Unternehmen anzuvertrauen. Bislang gibt es aber keine öffentlichen Profile, die eigenen Daten werden für andere erst sichtbar, wenn man sie einzeln zu seinem Team hinzufügt. Trotzdem ist die ständige, obligatorische Kommunikation mit den Webservern in der alltäglichen Bedienung ziemlich lästig. Ohne Internetverbindung ist kein Zugriff auf die Statistiken der Vergangenheit möglich und es lassen sich auch keine neuen Einträge anlegen. Gerade einmal den Wecker kann man im Offline-Modus neu stellen, aber auch hierbei lädt die App, wenn möglich, gleich im Anschluss Daten in die Cloud hoch.

Jawbone UP App Screenshot 01

Der Startbildschirm mit Tagesansicht, links das Menü. Montage: Eigenanfertigung

Visuell weiß das Programm jedoch durchaus zu überzeugen. Die Hauptfarben sind Orange und Hellbau mit Akzenten in Rot und Lila. Manchmal wirken sie etwas zu kräftig, sorgen aber dafür, dass Diagramme lebendig und aufregend werden. Für die Zukunft halte ich eine stärkere Annäherung an den Flat-Design-Trend für sinnvoll, ansonsten wird das Potential von Statistiken im Smartphone-Format aber völlig ausgereizt. Der Startbildschirm wird von zwei Statusbalken dominiert, die die Entfernung zum Tagesziel in Schlaf und Bewegung angeben. Standardmäßig liegt dieses Ziel bei acht Stunden Schlaf pro Nacht und zehntausend Schritten am Tag (bei mir knapp zehn Kilometer). Es lässt sich aber auch den persönlichen Vorstellungen anpassen.

Das Tippen auf einen der Balken öffnet eine detailliertere Ansicht, in der die Informationen auf einer Zeitleiste visualisiert sind. Nachts wird nur zwischen Leicht- und Tiefschlaf unterschieden, einem wissenschaftlichen Anspruch, der zwischen vier Stadien unterscheidet, wird man dadurch nicht gerecht. Dafür werden auch Wachphasen aufgezeichnet, wodurch man feststellen kann, wie schnell man eingeschlafen und wie oft aufgewacht ist. Wenn man beim Zubettgehen vergisst, in den Schlafmodus umzuschalten, kann man die Schlafdauer auch noch nachträglich von Hand angeben. Tagsüber werden die Schritte nach Anzahl und Intensität dargestellt, zusammen mit den Training-Sessions, die man manuell hinzufügen muss (im Folgenden mehr). Unter Berücksichtigung der Profildaten wie Größe und Gewicht der Träger wird zudem der Kalorienverbrauch berechnet, was beim Abnehmen helfen soll.

Jawbone UP App Screenshot 02

Links: Visualisierung der Schlafdaten. Rechts: Aufbereitung des Bewegungsverhaltens

Da das Armband auch immer genau weiß, wie lange Büromenschen schon regungslos auf ihrem Stuhl sitzen, lässt sich ein Alarm einstellen, der bei langer Inaktivität zu ein paar Runden um den Schreibtisch auffordert. Bei mir wurde der Alarm trotz eines Zeitfensters von zwei Stunden recht häufig ausgelöst, sorgte aber oft nur für ein überraschtes Zusammenzucken in Situationen, in denen ich sowieso nicht hätte aufstehen und den Raum verlassen können. Deutlich interessanter fand ich den Schlafphasenwecker, der dafür sorgen soll, dass man immer vollkommen ausgeruht die Augen aufschlägt. Die angegebene Weckzeit ist nur die Zeit, zu der man spätestens wach sein möchte. Das Armband wählt stattdessen mit Kenntnis des Schlafverhaltens einen Zeitpunkt, der bis zu einer halben Stunde davor liegt, sich dafür aber nicht mitten in einer Tiefschlaf-Phase befindet.

Für mich hat dieser Smart Alarm leider nicht ganz so gut funktioniert, wie ich es mir vorgestellt hatte. Zunächst ist es schon schwierig, in der oftmals stressreichen Morgenroutine überhaupt dreißig Minuten freizuschaufeln. Es gibt zwei Optionen: Möchte ich im Zweifelsfall lieber etwas zu früh geweckt werden und dadurch wertvolle Schlafenszeit opfern, oder lieber ein wenig später als üblich und mich dann zur Not noch mehr beeilen als sonst? Ich habe mich für einen Mittelweg entschieden und zur Sicherheit dann doch noch den Wecker meines Telefons aktiviert. Das führt dann aber meist dazu, dass ich nach dem sanften Vibrieren des UP noch so lange weiterschlummere, bis sich auch der Smartphone-Wecker meldet. Eine hilfreiche Erweiterung für das Armband wäre eine Snooze-Funktion, denn trotz Schlafphasenwecker bin ich gerade nach kurzen Nächten nicht so ausgeruht, dass ich sofort aufstehen möchte.

Jawbone UP App Screenshot 03

Schlaf- und Bewegungsdaten in einer dynamischen Zeitleiste. Montage: Eigenanfertigung

Eine dritte Art von Wecker dreht sich um den Power Nap, also einen modernen Euphemismus für das altbekannte Nickerchen. Im Vorfeld muss keine feste Weckzeit eingestellt werden, sondern nur die gewünschte Dauer des Mittagsschläfchens. Standardmäßig liegt der Wert bei 25-45 Minuten, auch hier versucht das UP wieder, den optimalen Zeitpunkt für das Wachwerden zu bestimmen. Generell habe ich das Problem, dass sich der Wecker viel zu leicht deaktivieren lässt. Mein Telefon versteckt sich oft unter Kopfkissen oder Bettdecke, das Armband hingegen hat seinen festen Sitz an meinem Handgelenk und ist mit einem einzelnen Tastendruck ruhigzustellen. Andererseits ist der Vibrationsalarm so schön leise, dass man auch geweckt werden kann, ohne eine Person, die neben einem liegt, in ihrem Schlaf zu stören.

In zwei Bereichen geht die App über die Funktionen des Armbands hinaus: Sport und Ernährung. Das UP ist beim Messen der Bewegung auf Gehen und Joggen beschränkt, alle anderen Aktivitäten müssen manuell eingetragen werden. Die einzige Hilfe dabei ist die Stoppuhr-Funktion des Armbands, die einem zumindest erspart, den Zeitraum des Trainings in Erinnerung zu behalten. Danach kann dann in der App zwischen einer Reihe von Sportarten ausgewählt und der Schwierigkeitsgrad der jeweiligen Übung bestimmt werden. Da von Hand nur spärliche Informationen eingegeben werden, sind die Möglichkeiten eines tieferen Erkenntnisgewinns sehr begrenzt. Es wird aber immerhin auf dem Startbildschirm mitgeteilt, wie viele Minuten des Tages man schon mit Sport verbracht hat.

Jawbone UP App Screenshot 04

Links: Fitnessprotokoll. Rechts: Schlaf- und Bewegungsdaten in der Wochenansicht

Die umstrittenste Funktion des Programms ist sicherlich das Ernährungstagebuch. Das liegt nicht daran, dass der Nutzen nicht offensichtlich ist: Studien haben gezeigt, dass Personen, die ihre Mahlzeiten regelmäßig protokollieren, nicht nur schneller abnehmen, sondern auch leichter beim gewünschten Gewicht bleiben. Die App macht es nur vergleichsweise schwer, die einzelnen Mahlzeiten einzutragen, vor allem, wenn man auch noch auf den Nährwert achten möchte. Ich habe mich trotzdem dazu durchgerungen, meine Nahrungsaufnahme zumindest in groben Kategorien festzuhalten, wenn auch ohne Kalorien- oder Mengenangabe.

Die Software bietet eine Reihe von vorgegebenen Kategorien und Gerichten an, die allesamt ziemlich hübsch bebildert sind. Mich hat das davon abgehalten, selbst Einträge mit eigenen Essensfotos anzulegen, weil diese sowieso nicht an die professionelle Food-Fotografie herangereicht hätten. Die wichtigsten Speisen werden aber ohnehin abgedeckt und wenn ich doch einmal keinen passenden Eintrag finde, wähle ich einfach denjenigen, der am nächsten kommt. Ein Marmeladenbrötchen ist schließlich mit etwas Wohlwollen auch als Croissant oder schlicht Pastry, also süßes Gebäck, zu bezeichnen.

Es ist außerdem möglich, den Barcode eines Fertigprodukts zu scannen, das dann automatisch im Logbuch gespeichert wird. Praktischerweise wird der Nährwert selbstständig ergänzt, wenn sich das Produkt in der Datenbank befindet. Umständlich wird der Vorgang erst, wenn diese Angaben manuell ergänzt werden müssen. Das ist bei Datum und Uhrzeit der Mahlzeit der Fall. Jawbone greift auf das von Android vorgegebene Drehrad zurück, das bei entfernteren Uhrzeiten und Tagen zu endlosem Scrollen führt. Natürlich wird auch zum Eintragen von Mahlzeiten eine Internetverbindung vorausgesetzt. Das verlangt viel Disziplin, wenn man rückwirkend einträgt, was man zu sich genommen hat, als das Smartphone nicht in der Nähe war oder keinen Empfang hatte.

Die Inhalte der App sind Englisch, mit dem Update auf Version 1.2.0 waren bei mir jedoch plötzlich ohne mein Zutun für zwei Tage die meisten Texte Deutsch. Bisher konnte ich noch nicht herausfinden, wie sich die Sprache umstellen lässt. Das Programm läuft stabil, wenn auch manchmal noch nicht so schnell, wie es sein könnte. Die Synchronisation mit dem Armband dauert rund zehn Sekunden, mitunter stockt der Ladebalken bei mir aber für dreißig Sekunden, bis die Übertragung vollständig beendet ist. An anderen Stellen gibt es unnötige Redundanzen. Nach dem Einrichten eines neuen Weckers muss man die Eingabe beispielsweise mit drei Knöpfen bestätigen, bevor die neuen Daten auf das Armband übertragen werden. Dafür, dass die App so viele Aufgaben vereint, ist sie aber trotzdem sehr übersichtlich gehalten und gut zu benutzen.

Jawbone UP App Screenshot 05

Das Ernährungs-Logbuch mit Nahrungsmittelkategorien und vorgegebenen Einträgen

Die neue Routine

In meinen ersten Tagen mit dem UP hatte ich bei jeder Handlung das Gefühl, ich müsse die App oder mein Armband darüber informieren. Dabei ist die Integration des Systems in den Alltag denkbar einfach. Vor dem Schlafengehen und nach dem Aufwachen genügt ein langer Tastendruck, um den aktuellen Status zu ändern. Wenn ich mich auf mein Rad schwinge, aktiviere ich vor dem Losfahren die Stoppuhr, um hinterher zu wissen, wie lange ich unterwegs war. Wenn ich etwas esse oder trinke, lege ich wann immer möglich sofort einen Eintrag darüber an, um mir hinterher die mühsame Rekonstruktion zu ersparen. Zwischendurch verbinde ich immer wieder das Armband mit dem Telefon, um die Ergebnisse des laufenden Tages auszuwerten.

Aber lohnt sich diese Mühe überhaupt? Ich muss gestehen: Ja, das tut sie durchaus. Ich habe größere Probleme damit, einen regelmäßigen Schlafrhythmus zu finden. Werde ich dann noch zusätzlich aus der Bahn geworfen, kann es Tage dauern, bis ich wieder bei einem einigermaßen normalen Muster angelangt bin. Das UP verrät, dass meine durchschnittliche Schlafdauer mit knapp acht Stunden eigentlich genau richtig liegt. Es zeigt mir aber auch, an welchen Tagen ich Defizite habe, die dann zu einer anderen Zeit wieder ausgeglichen werden müssen. Allein diese Informationen, die ich mir niemals manuell in ein Tagebuch schreiben würde, verhelfen mir zu einem gesünderen Rhythmus.

Jawbone UP App Screenshot 06

Die automatisierte Analyse der gesammelten Informationen in kurzen Ratschlägen. Animation: Eigenanfertigung

Auch den Schrittzähler habe ich zu Beginn meines Tests sehr ernst genommen, wenngleich sich diese Euphorie auch wieder ein wenig gelegt hat. Anfangs ging ich abends noch einmal vor die Tür, wenn der Statusbalken die hundert Prozent noch nicht erreicht hatte. Auf diese Weise habe ich auch meine Nachbarschaft besser kennengelernt. Als das Wetter schlechter wurde, hielt sich meine Begeisterung, im Regen durch die Straßen zu ziehen, aber zunehmend in Grenzen. Stattdessen habe ich versucht, neue Aktivitäten in meinen Alltag zu integrieren. Wenn ich Zeit dazu habe, nehme ich nun fast immer die Treppe zu meiner Wohnung im zwölften Stock. Auch wenn ich bei diesen sommerlichen Temperaturen nicht mehr so oft zu Fuß unterwegs bin wie zu Beginn des Tests, bewege ich mich nun so oft wie möglich mit dem Rad durch die Stadt.

Neben den eigentlichen Daten ist oft auch der spielerische Aspekt der App Motivation genug. Das Tagesziel kann Tag für Tag von neuem erreicht werden, egal, wie die Werte der Vergangenheit aussehen. Die App unterstützt ihre Nutzer bei der Auswertung der Informationen mit kleinen Kärtchen, die kurze Ratschläge enthalten. Die Hinweise beziehen sich auf den jeweiligen Tag und schlagen kleine Veränderungen vor, die große Auswirkungen haben können. Keine großen Mahlzeiten und kein Alkohol vor dem Schlafengehen mehr, dafür vielleicht ein kurzer Spaziergang. Bewege dich in den nächsten Tagen nur fünf Minuten länger und du wirst dein Aktivitätsziel für diese Woche erreichen. Kleine Maßnahmen helfen beim systematischen Aufbau einer neuen Routine.

Die Daten

Es ist natürlich klar, dass die Daten, die das Armband sammelt, keiner wissenschaftlichen Betrachtung standhalten können. Das müssen sie aber auch gar nicht. Es spielt keine Rolle, ob ich an einem Tag hundert Schritte mehr oder weniger getan habe. Von Interesse sind allgemeine Trends, die auch mit leicht verfälschten Ergebnissen ersichtlich werden. Viel schwerer wiegt dagegen, dass man als Nutzer immer noch weitestgehend im UP-System gefangen ist. Jawbone bietet löblicherweise die Rohdaten im CSV-Format zum Download an. Darin enthalten sind allerdings nur die aggregierten Werte für ganze Tage, sodass externe Entwickler zwangsläufig hinter der offiziellen App zurückstehen. Besonders schade ist das, weil es bislang noch kein Webinterface für das UP gibt. Für Apple-Kunden besteht immerhin die Möglichkeit, das Armband mit dem iPad zu verbinden. Android-Tablets werden bislang nicht unterstützt, die Nutzer können ihre Daten also nur auf den kleinen Smartphone-Bildschirmen einsehen.

Die API steht noch an ihrem Anfang, erlaubt aber bereits das Einspeisen von Informationen aus anderen Fitness-Apps. Der Webservice IFTTT ermöglicht auch den Transfer in die andere Richtung: Erreichen Schlafdauer oder Schrittzahl einen bestimmten Stand, lässt sich eine Aktion auslösen. Genauso können externe Ereignisse als Auslöser genutzt werden, um beispielsweise eine neue Mahlzeit an das Ernährungstagebuch zu schicken. Eine direkte Interaktion mit dem Armband ist aber momentan nicht möglich. Dabei könnte die Zukunft richtig spannend werden, wenn Jawbone es wie bei seiner Lautsprecherreihe zulassen würde, die Hardware mit kleinen Applikationen zu personalisieren. Mit nur einem Bedienelement ist das Potenzial begrenzt, aber gerade am Wochenende würde ich mich sehr über einen Wecker freuen, der mich nach acht Stunden Schlaf weckt und nicht zu einer bestimmten Uhrzeit.

Jawbone UP Cover 02

Die Kaufempfehlung

Es gab das UP schon einmal, nämlich im Jahr 2011. Die Erwartungen waren hoch, der Hersteller wurde gepriesen als Vorreiter in einer neuen Gerätekategorie und das UP von manchen schon im Vorfeld zum Gadget des Jahres gekrönt. Doch dann berichteten Nutzer von Problemen beim Synchronisieren mit der App oder ganzen Ausfällen des Armbands. Das Unternehmen reagierte prompt und erstattete den Kaufpreis zurück, die Produktion wurde eingestellt und die Arbeit an dem Gerät begann von neuem. Ein ganzes Jahr und Millionen von Teststunden hat es gedauert, bis nun ein Produkt entstanden ist, das den Erwartungen seiner Käufer standhalten kann.

Trotz der Wartezeit ist das Jawbone UP immer noch ein Pionier auf seinem Gebiet. Ernsthafte Konkurrenz macht ihm seit diesem Monat aber das Fitbit Flex. Im Audio-Bereich hat Jawbone schon bewiesen, dass es einen festen Platz im Premium-Segment zu besetzen weiß. Mit 130 Euro ist das UP sicher nicht günstig, aber durchaus seinen Preis wert. In der Zukunft darf man erwarten, dass die Schwächen der Software beseitigt und die Schnittstellen zu anderen Plattformen ausgebaut werden. Vielleicht wird es irgendwann auch eine Nachfolgeversion mit Bluetooth geben, aber momentan kann ich gut mit dem gelegentlichen Synchronisieren leben.

Florian Lehmuth
30. Juni 2013
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