Proudly made on earth

CD-Review: Sbtrkt (Sbtrkt)

Sbtrkt A Hidden Place

© A Hidden Place

So ganz habe ich diese ganze Genre-Kategorisierung ja noch nie begriffen. Das mag daran liegen, dass ich kein großer Freund von Schubladen und Schwarzweiß-Denken bin. Richtig verwirrt bin ich aber, wenn die Musikgeschichte von irgendwelchen findigen Pseudoexperten in Zyklen zerhackt wird. Stilrichtungen entstehen, werden totgesagt, feiern ihre Auferstehung … Post-rock? Okay, das ergibt noch Sinn. Post-punk? Weniger. Absurd wird es hingegen, wenn in der Wikipedia schon der Post-dubstep ausgerufen wird, bevor Dubstep selbst so richtig im öffentlichen Bewusstsein angekommen ist. Auch, wenn er es doch bitte bitte gar nicht in den Mainstream schaffen muss. Als Referenzen dieser ganz neuen Kategorie werden unter anderem James Blake, The xx (insbesondere Jamie xx als DJ), Burial oder The Weeknd genannt. Egal, welches Etikett man diesen Künstlern jetzt anheften möchte: beim Durchhören wird eindeutig klar, dass Bässe so wichtig sind wie nie zuvor. Vielversprechende, junge Elektronikacts experimentieren reihenweise mit den Frequenzen am unteren Ende des menschlichen Wahrnehmungsbereichs. Unter ihnen auch ganz neue Namen wie zum Beispiel Sbtrkt. Noch so ein unaussprechlicher Titel. Noch ein Gesicht, das sich hinter einer Maske versteckt.

Mit ein wenig Recherche findet die Geheimniskrämerei jedoch schnell ein Ende. Der junge Londoner Aaron Jerome verbirgt sich hinter dem Pseudonym, das die Abkürzung für subtract darstellt. Der Name ist Programm: Abziehen scheint die Lieblingsbeschäftigung des aufstrebenden Künstlers zu sein. Er bedient sich Titeln von Modeselektor bis M.I.A. und reduziert, anstatt ihnen einen Stempel aufzudrücken, die vorliegenden Arrangements vielmehr so lange, bis sein eigener, unverwechselbarer Stil hindurchschimmert. Maskenkulte sind nichts Neues im Geschäft mit elektronischer Musik, doch auch hier weicht Sbtrkt von der Norm ab. Die Gesichtsbedeckungen werden, wie auch das restliche visuelle Erscheinungsbild, vom Designer A Hidden Place handgefertigt. Dass sie afrikanisch bis indianisch anmuten, ist kein Zufall: Jeromes Wurzeln verteilen sich auf den ganzen Erdball, er selbst wuchs mit seiner Familie in Kenia auf und hat durch seine Herkunft ein breites Interesse an Kulturen aus aller Welt erhalten.

Vor einigen Tagen ist nun bei Young Turks das selbstbetitelte Debütalbum erschienen. Wie schon zuvor tritt der Urheber selbst lieber in den Hintergrund und überlässt die Gesangspartie den Kollegen Sampha, Jessie Ware und Yukimi Nagano von Little Dragon. Letztere ist maßgeblich für die durchdringende Energie der Single “Wildfire” verantwortlich. “Never Never” erinnert mehr als deutlich an James Blake. Lediglich drei Songs kommen ganz ohne den Beitrag der Gastmusiker aus, unter ihnen “Go Bang”. Ein beinahe episches Intro baut gemächlich den letzten Höhepunkt der LP auf, als plötzlich die rhythmischen Laute von Bongos hinzukommen, die Melodie schraubt sich in die Höhe, es zetert, klirrt und wabbert. Dabei ist dieses sanfte Ende so ganz untypisch für den sonstigen Output Sbtrkts, der gerade durch sein extrovertiertes Spiel mit Anleihen aus R’n’B, Funk oder Nu Jazz auffällt. Wenn Post-dubstep immer so abwechslungsreich ist, möchten wir noch viel mehr davon!

****

Nico empfahl zwar zunächst den Hörgenuss während der Radfahrt, inzwischen ist er von diesem Vorschlag aber wieder abgekommen. Dubstep funktioniert eben immer noch am besten auf einer richtig großen Anlage.

Florian Lehmuth
15. Juli 2011
Kategorien:
Schlagworte:

Keine Kommentare

Was sagst du?