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Sweet Valley: Der tanzbare Fiebertraum

Sweet Valley Hermano

Es muss an der Abstraktion liegen. Jedenfalls sind es die reduziertesten Arrangements, die mich am meisten in Fahrt bringen. Minimal Techno. Deep House. Geradlinige Beats, strenger 4/4-Takt, sich ständig wiederholende Samples. Man könnte auch sagen: Langweilig.

Aber ich glaube, die Sache lässt sich nicht so einfach abhandeln. Denn damit ist noch kein Wort darüber verloren, warum sich gerade zu diesem Soundtrack ein so unbändiges Gefühl von Freiheit einstellt.

Der Bruch mit den Konventionen beginnt natürlich schon bei der Produktionsweise; wenn Instrumente nur noch dazu dienen, perfekte Klangsequenzen zu destillieren, und aus Tonschrott Melodien werden. Aber das ist erst der Anfang. Die Traditionslosigkeit des Genres ist seine größte Stärke und lässt es immer weiter in kulturelle Nischen eindringen, die bis zum letzten Volksfest noch eisern vom Blasorchester oder der Salsa-Band besetzt waren.

Die Grenzen von Raum und Zeit lösen sich auf, wenn sich digital produzierte Musik anders als analoge ohne Kopierverluste überall und jederzeit replizieren lässt. Aus einzelnen Songs werden stundenlange DJ-Sets und die Afterhour bringt den Biorhythmus vollends aus dem Gleichgewicht.

Es gibt keine Choreografie mehr, die mühsam einstudiert werden muss, wenn Individualität in ihren extravagantesten Formen den einzigen Bewertungsmaßstab bildet. Im besten Fall sind die Bewegungsmuster ohnehin nur Ausdruck des eigenen Stimmungsbilds und werden komplett vom Unterbewusstsein gesteuert.

Eine Entwicklung, die hervorragend in unsere Zeit passt. Der weitestgehende Wegbruch aller Autoritäten und damit der Aufstieg einer noch nie so egalitären Populärkultur. Die Kunst als Projektionsfläche für die Diversität unserer Gesellschaft und Motor für die Schaffung von neuen Freiheiten.

Ich finde all das großartig, und doch frage ich mich: Wo bleiben die Botschaften, wenn alles beliebig wird? Wie kann noch Raum für das Politische sein, wenn die Inhalte ganz und gar der Form geopfert werden? Im Club mag die Welt in Ordnung sein, wenn sich die Abiturientin mit dem Hauptschulabbrecher einlässt. Aber da draußen herrscht eine andere Realität, in der die Ungleichheit stetig größer wird.

In diesen Tagen, in denen die Notwendigkeit einer neuen, subversiven Subkultur so offensichtlich ist, denke ich oft daran, wie der Punk meine Begeisterung für Musik eingeläutet hat. Und ich suche nach neuen Stilrichtungen und Akteurinnen, die so etwas wie eine Aussage transportieren.

Sweet Valley ist ein Nebenprojekt von Wavves-Gründer Nathan Williams und seinem Bruder Kynan. Ihre Musik lebt zwar ebenso von Synthies, ist aber ansonsten das exakte Gegenteil der eingangs beschriebenen Abstraktion. Die Klarheit weicht einem irren Sammelsurium aus dröhnenden Bässen und ohrenbetäubenden Snaredrum-Salven; statt Regelmäßigkeit gibt es eine lose Aneinanderreihung und Aufhäufung von akustischen Bruchstücken.

Das Duo fällt neben seiner musikalischen Spannbreite durch seine hohe Outputfrequenz auf. Die Experimentierfreude ist greifbar, auch wenn zwangsläufig nicht alle Produktionen gleichermaßen hörenswert sind.

Aus dem Entstehungsjahr 2012 gibt es drei Veröffentlichungen, von denen nur “Eternal Champ” (Bandcamp) wirklich in Erinnerung bleibt. Auf ihrem ersten Album geben die Brüder ihrem namensgebenden Hang zu zuckersüßen Melodien nach und meistern die Gratwanderung zwischen Eingängigkeit und Kitsch.

In den Folgejahren zeigt sich dann ein Entwicklung, die auf “SV” (Bandcamp) mit dem außerordentlich rhythmischen “Cosmic Design” ihren Anfang nimmt. Die Höhen rücken in den Vordergrund und es schleicht sich neben der steigenden Geschwindigkeit auch eine ganz neue Kompromisslosigkeit ein. Das gipfelt in “Blow Torch” vom Nachfolgealbum “F.A.N.G” (Bandcamp), mit dem der kurzzeitige Wechsel zu Breakcore vollzogen ist.

Damit zeigt sich für mich auch eine etwas unartikulierte, aber zweifellos vorhandene Botschaft: Eine gewisse Härte, eine unverschleierte Ablehnung, die völlig ausreichend ist als Grundlage für eine Gegenposition zum Status quo.

Seinen bisherigen Höhepunkt hat das Projekt in meinen Ohren mit den überdimensionierten One-Track-Titeln “So Serene” von 2014 und dem gerade erschienenen “Hermano” erreicht.

Es ist die Mischung aus überbordenden Bässen und verstörenden Voice-Samples, die so tief unter die Haut geht. In “Hermano” ist ab 10:58 eine von Sirenengehäul umrahmte Schlägerei zu hören. In “So Serene” prophezeit ab 22:44 ein Anrufer im Radio mit ungespielter Todesangst eine Alien-Invasion, begleitet von empathischer Endzeitmusik. Damit soll weder Gewalt glorifiziert noch Paranoia verhöhnt werden, sondern ein unverstellter Blick in die Abgründe der menschlichen Psyche eröffnet werden.

Sweet Valley ist der Fiebertraum, aus dem man nicht wegen der bösen Geister schweißgebadet aufwacht, sondern weil es sich zu den schweren Beats so gut tanzen lässt. Das Feiern soll erlaubt sein, muss es sogar. Denn es ist nicht Eskapismus, der hier zelebriert wird, sondern Katharsis.

Florian Lehmuth
14. Dezember 2016
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