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Serienwahn: House of Cards

House of Cards Rubber Band

© MRC

Kann man eine Geschichte ohne Helden erzählen? Nein, hätte ich noch vor ein paar Jahren geantwortet. Schließlich lebt gutes Erzählen immer von Gegensätzen, von Identifikation und Abgrenzung. Gerade, wenn es um moralische Fragen geht. Natürlich kann auch ein Schurke im Zentrum der Handlung stehen und uns faszinierende Einblicke in menschliche Abgründe geben. Aber allein, um eine Figur zum Schurken zu machen, muss sie zwangsläufig in Kontrast zu etwas Unschuldigem, Integrem gestellt werden.

Breaking Bad stellte diese heile Welt auf den Kopf, jedenfalls für mich. Schluss mit dem Schwarz-Weiß-Denken, Aus und Ende für die strikte Linie zwischen Gut und Böse. Stattdessen gibt es moralische Graustufen in allen Schattierungen. Die Zuschauer werden mit einer Hauptfigur konfrontiert, die in jeder Hinsicht verachtenswert ist, und trotzdem können sie sich einer gewissen Sympathie nicht erwehren. Wie das möglich ist? Bisher sind mir drei Regeln aufgefallen, die das Böse so verlockend machen, dass wir uns nur zu gerne darin hineinversetzen.

Die Figur muss im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Allein dadurch, dass sie auf dem Bildschirm durchgehend präsent ist, werden wir dazu gezwungen, uns mit ihr auseinanderzusetzen. Die Handlung kann nur vollständig verstehen, wer bereit ist, in die Gefühlswelt der Hauptfigur einzutauchen und sich mit ihren Beweggründen zu beschäftigen. Kein Wunder, dass dabei fast automatisch Mitgefühl entsteht.

Die Figur muss sich einen Hauch von Menschlichkeit bewahren. Ein Protagonist kann lügen, betrügen und morden, ohne dass wir uns entsetzt von ihm abwenden. Schwierig wird es erst, wenn er dabei unglaubwürdig wirkt. Deshalb gilt: Für jede Gräueltat müssen wir auch ein klein wenig mehr über die Psyche der Figur und ihren verletzlichen, menschlichen Kern erfahren. Die Balance ist entscheidend, denn zu starke Figuren sind auf Dauer langweilig, zu schwache Figuren dagegen können nicht langfristig erfolgreich sein und trotzdem glaubhaft bleiben.

Die Figur muss in ihrem bösen Spiel erfolgreich sein. Unterhaltung ist immer auch Eskapismus; Flucht aus dem Alltag und Reise in einen Kosmos, der auch ohne unser Zutun funktioniert. Mehr noch: Sie ist imstande, all die dunklen Vorstellungen aus unserem Unterbewusstsein zu Tage zu fördern und zu realisieren. Der Schurke verkörpert unser ungehemmtes Es, ohne schlechtes Gewissen und ohne von der Umwelt am Ausleben seiner niederen Triebe gehindert zu werden. Gerade das macht ihn so unwiderstehlich.

Frank Underwood ist jemand, der all diese Kriterien vereint. Als demokratischer Abgeordneter im US-amerikanischen Repräsentantenhaus hat er es bis zum Majority Whip geschafft; als Hauptfigur von House of Cards zieht er uns mit seinen politischen Intrigen in seinen Bann. Über ein Washington, in dem Parteilinien oder Ideale keine Rolle spielen, sagt er euphemistisch: »Forward! That is the battle cry. Leave ideology to the armchair generals – it does me no good.« Willkommen in einer Welt, die nicht von demokratischen Prinzipien, sondern dem Recht des Stärkeren regiert wird. Viel Glück bei der Entscheidung, entweder Teil der großen, leidenden Masse zu bleiben oder aufzusteigen zu einem der wenigen, die sie quälen.

»We are no longer bound by allegiances. We serve no one.«

Natürlich klingt das zynisch. Die Frage ist, ob hier ein politisches System abgebildet wird, das auch nur den entferntesten Bezug zur Realität hat, oder ob nicht vielmehr die weit verbreitete Vorstellung einer korrupten Elite zum Leben erweckt wird, an der nicht zuletzt mediale Darstellungen große Mitschuld tragen. Zumindest darf man nicht vergessen, dass die Geschichte von einer Einzelperson handelt, nämlich vom Typus des selbstbesessenen, skrupellosen, machtgierigen Widerlings, den es auch im echten Leben zweifellos zu finden gibt. Und auch wenn es schwerfällt, das zu glauben: Dieses Wesen hat seinen ganz eigenen Charme, gerade auch wegen der großartigen darstellerischen Leistung Kevin Spaceys.

Am besten zeigt sich Franks Nihilismus an der Beziehung zu seiner Frau Claire, wunderbar gespielt von Robin Wright. Die Underwoods sind beide geborene Einzelkämpfer, langfristige Bündnisse zu schließen liegt ihnen fern. So ist auch ihre Ehe nicht mehr als eine strategische Partnerschaft. Den politischen Zielen werden persönliche Emotionen gnadenlos untergeordnet, Geheimnisse gibt es nicht. Als Frank die Nacht mit einer anderen Frau verbringt, fragt ihn Claire am nächsten Morgen: »What does she offer us?« Privatleben ist in House of Cards die Schwäche der anderen.

Zusammen spielen die beiden Leute gegeneinander aus, wechseln nach Belieben die Seiten und sind dabei nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Es bedarf großer Raffinesse, um all ihre Schachzüge zu überschauen, und die haben sie zweifellos. Staunend sieht man ihnen dabei zu, wie sie reihenweise Menschen ins Unglück stürzen, ohne dass sie dabei ein klares Ziel zu verfolgen scheinen. Macht wird als Selbstzweck präsentiert, Machterhalt als die einzig sinnvolle Bestrebung. Noch schlimmer: Irgendwann beginnt man als Zuschauer, selbst bei dieser trostlosen Partie mitzuspielen, ohne ihre Regeln zu hinterfragen.

»I pray to myself, for myself.«

Man könnte sich also völlig in dieser Scheinwelt verlieren, all seine Prinzipien über den Haufen werfen und Schritt für Schritt genauso verbittern wie die Protagonisten selbst. Kontrollinstanzen gibt es nicht, die Presse ist in der Hand der Politik und auf dem Kapitol ist sowieso niemandem zu trauen. Doch zum Glück sind sich die Macher vollends bewusst, welch gefährliches Bild sie da zeichnen, und haben eine Hintertür eingebaut. In regelmäßigen Abständen durchbricht Frank nämlich die vierte Wand, richtet seine Sätze dann also nicht an sein Serienumfeld, sondern ans Publikum, klingt ansonsten aber nicht viel anders als sonst.

Trotzdem sind diese flüchtigen Momente entscheidend: In einer Welt aus Lügen bilden sie das einzige Stückchen Wahrheit; sie reißen uns aus der Misanthropie und verleihen dem Geschehen noch eine komische Note. Oft genügt es schon, dass Frank einen stummen, wissenden Blick in Richtung Kamera wirft, um eine enge Bindung zum Publikum aufzubauen. »Es ist ja alles nur ein Spiel,« scheint so ein Blick dann zu sagen, und wir können uns beruhigt zurücklehnen und weiter zusehen. Katharsis im Kurzformat.

Es ist dieser beeindruckende Balanceakt auf einem schmalen moralischen Grat, der die Serie sehenswert macht. Aber auch der kann nicht davon ablenken, dass es immer wieder Durchhänger gibt. Das Tempo ist hoch, das Thema stellenweise unnötig komplex und der Handlungsspielraum überschaubar. Am deutlichsten wird das am Setting, das zwischen Arbeitszimmer, Büro und Konferenzraum hin- und herspringt. Auf jeden Faustkampf kommen zehn Wortgefechte. Aber wenn man das als Schwachpunkt anrechnen möchte, dann ist es ein Makel, der jedem Politthriller anhaftet. Und für Genre-Maßstäbe bewegt sich House of Cards auf sehr hohem Niveau.

»There is but one rule: Hunt or be hunted.«

Bleibt noch zu erwähnen, dass die Serie als erste nicht fürs konventionelle Fernsehen, sondern für den Streaming-Anbieter Netflix produziert wurde. Vor gut einem Jahr wurden die ersten dreizehn Episoden auf einen Schlag veröffentlicht, vor wenigen Wochen folgte die zweite Staffel. Mit dem Verzicht auf den gewohnten wochenweisen Ausstrahlungsrhythmus, der geradezu zum Binge-watching auffordert, wird House of Cards von vielen Seiten ein neuartiger, filmischer Charakter attestiert.

Dass der Bruch mit den Konventionen dann aber doch nicht sehr weitreichend ist, zeigt sich schon an der Länge der einzelnen Folgen, die 45 Minuten nie unter- und 60 Minuten nie überschreitet. Auch der Spannungsverlauf inklusive Cliffhangers orientiert sich an diesem Format, das ja ursprünglich nur zu dem Zweck geschaffen wurde, mit Werbung zu einer vollen Stunde Fernsehprogramm angereichert zu werden. Netflix steigt also zu einer neuen Größe im US-amerikanischen Unterhaltungsmarkt auf, der Unterschied zu bestehenden Sendern wie HBO ist aber denkbar gering.

Ihren Erfolg hat die Serie fraglos ihren künstlerischen Qualitäten zu verdanken. Unter der Aufsicht von David Fincher, der es immer wieder versteht, das Abstoßende so unglaublich sexy aussehen zu lassen, wird die Verschmelzung von Postdemokratie und Spätkapitalismus zelebriert. Die Geschichte Frank Underwoods lässt uns an demokratischen Institutionen zweifeln, unsere Ideale infrage stellen und unseren Glauben an das Gute im Menschen schwinden. Trotzdem können wir uns nicht davon losreißen. Sind wir deshalb schon politikverdrossen? Keineswegs. Denn wir wissen: Ein System, das solche Individuen hervorbringt, kann nicht funktionieren. Aber darum lässt es sich ja ändern. Und letztendlich ist das eine ziemlich hoffnungsvolle Botschaft.

Florian Lehmuth
5. März 2014
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